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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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jeden Preis. Ich sagte es ihm, während ich ihn noch ansah. Doch er sah nicht mich an, er hielt die Augen noch ein paar Sekunden auf den Fernseher gerichtet, fast geschlossen, sein Ausdruck enthielt Verachtung und Ekel für das, was er betrachtete, das war gewiß nicht das Gesicht eines Mannes, der fremder Grausamkeit und fremdem Leid gleichgültig gegenüberstand, in diesem Augenblick urteilte er streng; dann spulte er mit der Fernbedienung vor und hielt kurz darauf das Bild an.
    »Du kannst jetzt schauen, du bist gerettet. Ich bin schon in einer anderen Szene, in der nächsten. Aber Jack«, fügte er mit gedämpfter, sogar verständnisvoller Gereiztheit hinzu, »ich zeige dir das alles nicht, damit du es nicht siehst, sondern damit du es siehst. Was hat das sonst für einen Sinn.«
    »Ich will nicht mehr sehen, Bertie«, antwortete ich. »Wenn das alles so ist, dann will ich nichts sehen. Ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst, und ich brauche das nicht, und außerdem: Warum benutzt ihr diese Bilder nicht, um Abhilfe zu schaffen? Sie könnten dazu dienen, über diesen Dicken, den ihr so genau identifiziert habt und für den es so prächtig läuft, herauszufinden, was an diesem Ort passiert, und dem ein Ende zu machen. Ich verstehe eure Passivität nicht. Ich verstehe euch nicht.«
    »Ja, glaubst du denn, die Mexikaner, die Amerikaner hätten nicht längst eine Kopie dieser Szene? Wenn sie sich nicht in die Sache einschalten, dann können wir von hier aus wenig mehr tun; und es ist nicht immer einfach, zu handeln, ein solches Video würde in einigen Ländern nicht als Beweis zugelassen, die Art und Weise, wie man daran gekommen ist, würde es entwerten. Und welches Vergehens würde man den Dicken beschuldigen, daß er an einem illegalen Schauspiel teilgenommen hat? Der Passivität? Der unterlassenen Hilfeleistung? Ach was. Ich kann auch verstehen, daß sie es für eine bessere Gelegenheit aufbewahren und archivieren, für alle Fälle. Und ich kann es ihnen nicht vorwerfen, wir tun das gleiche mit den meisten, die uns betreffen, mit denen aus unseren Gebieten. Es kann mehr Leben retten, später jemand Bedeutenden zu etwas zu zwingen, als sofort über die Subalternen herzufallen. Und wir wollen immer Leben retten. Wir kalkulieren immer und wägen ab, ob es sich lohnt, jemanden jetzt sterben zu lassen, damit später viele andere genau deshalb leben können. In erster Linie britische Leben, natürlich, die Priorität liegt auf der Hand. Wie im Krieg. Aus allem müssen wir den maximalen Nutzen ziehen, auch wenn wir dafür mehrere Jahre warten müssen. Wie bei der täglichen Arbeit im Büro, manchmal muß man warten, daß jemand zu dem in der Lage ist, was wir aufgrund seiner Fähigkeiten für ihn vorgesehen haben. Einschließlich dessen, was du voraussiehst, Jack, was du uns verkündest. Alles zählt, was du mir sagst, nichts geht verloren. Mit den Dingen hier ist es genauso.« Während der letzten Sätze hatte er mich doch angesehen, seine Wimpern nunmehr voneinander gelöst, so daß das Grau im Halbdunkel erschien, seine absorbierenden Augen nunmehr geöffnet, die einem, jedem, das Gefühl gaben, der Aufmerksamkeit und der Entzifferung wert zu sein; und mir schien, daß seine Worte jetzt darauf ausgerichtet waren, dieses Gefühl in mir zu verstärken. Ich hatte mich noch nicht wieder dem Bildschirm zugewandt, obwohl er mich diesbezüglich beruhigt hatte. »Na los, schau hin. Du wirst mindestens noch eine Aufnahme sehen müssen. Ich werde sie rascher durchlaufen lassen, ich werde ein paar überspringen, da sie dich so in Mitleidenschaft ziehen.« Hier sparte er nicht an Spott.
    Es machte mir nichts aus. Ich hob zwei Finger, um ihm zu bedeuten, daß der Moment noch nicht gekommen war, daß ich etwas klären wollte. Vielleicht brauchte ich eine Minute, um mich von dem schon Gesehenen zu erholen, und eine weitere, um mich an die Vorstellung zu gewöhnen, daß mir noch etwas zu sehen blieb, das zweifellos unangenehm war, noch mehr Gift. Aber ich überspielte das und fragte, als wäre meine Neugier wirklich dringend:
    »Woher stammen die Bilder? Wie kommt man an sie heran? Was du mir bisher gezeigt hast… In solchen Situationen konnten doch gar keine Kameras erlaubt sein.«
    »Sie kommen aus allen möglichen Richtungen, von überallher und auf tausend verschiedene Arten, heute ist das Angebot unermeßlich. Wir verfügen einerseits über unsere eigenen traditionellen Mittel: mit unseren Installateuren und unseren

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