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Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied

Titel: Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marias
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niemandem sprechen, sondern von Leuten aus der Botschaft, von seinem Vater, der nach London gekommen ist, um ihm beizustehen und sich in den ersten Tagen um ihn zu kümmern, er war die ganze Zeit bei ihm, er konnte nicht einmal nach Oxford kommen, und da ich mich nicht mehr fortrühre, konnten wir uns überhaupt nicht sehen.‹ ›Um Gottes willen, wie kam denn das?‹ fragte ich ihn heuchlerisch. ›Ich weiß es nicht genau‹, antwortete er. ›Er war wohl betrunken und hat seine Aussagen anscheinend mehrmals zurückgenommen, er hat sich widersprochen, womöglich weiß nicht einmal er es so genau oder erinnert sich nicht daran, weil er so benebelt war, du hast ja gesehen, wie er sich an der Flasche festhielt, er hat sich hier im Haus sofort mit Lord Rymer angefreundet, erinnerst du dich? Wahrscheinlich ist er in seiner Unverschämtheit zu weit gegangen, mit diesem derben und für mich unverständlichen Vokabular, das er manchmal benutzt, anscheinend waren es Landsleute von ihm, das heißt von euch, die ihm in der Toilette einer Diskothek das Fell gegerbt haben, als hätten sie sich dort zum Prügeln verabredet, es klingt nach einer Schuljungengeschichte, das paßt zu ihm. Aber es stimmt, daß sie ihn fertiggemacht haben, das war kein Kinderspaß, sie haben ihm mehrere wichtige Knochen gebrochen. Auf der Behindertentoilette übrigens: geradezu ein Vorzeichen.‹ Wheeler kam nicht umhin, an fast allem etwas Komisches zu sehen, und so fügte er leicht boshaft hinzu (ich konnte mir unschwer vorstellen, wie dabei ein Lächeln in seine Augen trat): ›Jetzt besteht er, glaube ich, nur noch aus Gips. Ein paar Kranke erspähen ihn vom Flur aus und verwechseln ihn mit der Mumie.‹ Und dann fuhr er mit etwas anderem fort, das sich natürlich auf den besonderen Ausdruck bezog, den er auf Spanisch eingeschoben hatte: ›Sagt ihr das noch, » zurrar la badana«, »das Fell gerben«, oder ist das sehr antiquiert? A propos, mir war nie so recht klar, was »badana« heißt, hast du eine Vorstellung?‹ Mir wurde bewußt, daß ich keinen blassen Schimmer hatte, eine ähnliche Schande, wie sie mir vor so vielen Jahren meine Studenten in Oxford bereitet hatten, als ich mich genötigt sah, sie im Unterricht auf ihre böswilligen Fragen hin anzulügen und aus dem Stand unsinnige, falsche Etymologien zu erfinden, die sie ernsthaft mitschrieben. ›Das Spanische ist eine Sprache, sehr viel mehr als das Englische und andere Sprachen, in der ihr oft nicht wißt, was ihr sagt‹, fuhr Sir Peter fort, ›und doch sagt ihr alles mit großer Selbstgewißheit und Forschheit: Was zum Teufel bedeutet zum Beispiel »joder la marrana« ? Ich meine, wortwörtlich. Oder »a pie juntillas«? (Es gibt ignorante Autoren, die »a pies juntillas« schreiben, das habe ich festgestellt, ich weiß nicht, wie es jetzt ist, aber früher galt das als inkorrekt.) Oder »a pie enjuto« oder »a dos velas« oder »caérsele los anillos« ? Die Ringe fallen nie, im Gegenteil, es kostet Mühe, sie abzulegen. Und warum nennt ihr die Häuserblocks zwischen den Straßen »manzanas« ? Das weiß anscheinend niemand, ich habe sogar Mitglieder der Königlichen Spanischen Akademie gefragt, und alle zucken mit den Schultern, ohne sich Gedanken zu machen oder sich zu schämen. Hm, »Äpfel«, manzanas, ist das nicht absurd? Es gibt überhaupt keine Ähnlichkeit mit der Frucht, nicht einmal aus der Vogelperspektive … Und warum macht ihr diese seltsame Geste, die genau das gleiche bedeutet wie » a dos velas« ? Ihr hebt zwei Finger an die Nasenhöhlen und senkt sie bis auf die Höhe der Oberlippe, wirklich komisch, ich sehe da keine Beziehung zu irgend etwas. Ihr redet viel mit Gebärden und Gesten, und die meisten haben keinen Sinn, sie sind nicht sehr klar, oft ohne Zusammenhang mit ihrer Bedeutung, es gibt zum Beispiel eine, bei der ihr die steifen Finger einer Hand auf die vertikal ausgestreckte Innenfläche der anderen stützt, weißt du, welche ich meine? Ich würde sie dir vorführen, wenn du mich sehen könntest, ich sehe dich ja kaum noch, du kommst so selten, beutet Tupra dich aus oder hast du eine Freundin? Ich glaube, die Geste bedeutet »Mach Schluß, hör auf« oder vielleicht »Gehen wir« …?‹
    Wheeler war unermüdlich, wenn es um linguistische Fragen und Redewendungen ging, er konnte sich endlos mit ihnen aufhalten und vergaß vorübergehend alles übrige, ich aber besaß, wie ich wußte, seitdem ich in Oxford zum ersten Mal Übersetzen und Spanisch

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