Dein Gesicht morgen 03 - Gift und Schatten und Abschied
und daher auch ohne daß ich Luisa gesehen oder wahrgenommen hatte, was mich am meisten anzog und mir am meisten Angst machte. Zwei Tage nach jenem Abend, als ich sie angerufen hatte, um sie nach dem bottox und den weiblichen Blutflecken zu fragen, hatte ich ihr gesagt, daß es noch ein wenig dauern würde. ›Die Kinder fragen, wann du kommst‹, sie war so vorsichtig gewesen, die Frage nicht selbst zu stellen und sich nicht einzubeziehen. ›Ich weiß nicht, ob demnächst‹, hatte ich ihr geantwortet, und dann hatte ich erwähnt, daß ich meinen Chef auf einer Reise begleiten sollte, man wußte nicht, wann, es konnte jeden Augenblick sein, bis dahin war ich gebunden. Und das stimmte, so hatte Tupra es mir angekündigt, nur daß es am Ende mehrere Reisen waren, auf die er mich im folgenden Monat mitnahm, kurze, zweitägige Abstecher, drei auf der großen Insel und einer nach Berlin, auf den Kontinent. Wir reisten mit Mulryan nach Bath, zu zweit nach Edinburgh und mit Jane Treves nach York, anscheinend stammte sie aus Yorkshire und kannte das Terrain, obwohl ich nicht fand, daß man ein Experte sein mußte, um sich in jenen Städten mit ihrem überaus menschlichen Maßstab bewegen zu können. Pérez Nuix nahm er nicht mit, vielleicht, um sie für ihren Täuschungsversuch in der Sache mit Incompara und ihrem verprügelten Vater zu bestrafen, als dessen naiven und wenig verantwortungsbewußten Komplizen er mich betrachten mußte, oder vielleicht, damit sie und ich nicht zusammen in einem Hotel abstiegen, wie mir in den Sinn kam: Bisweilen dachte ich, daß es ihm gelang, über alles informiert zu sein, daß er sogar über das auf dem Laufenden war, was in meiner Wohnung geschehen war, in meinem Bett, schweigend und als geschähe es nicht, in jener verregneten Nacht.
An jedem Ort hatten wir nur ein Treffen, bei dem ich als Interpret sowohl von Sprachen als auch von Menschen nützlich sein konnte, und wenn Tupra, wie ich annahm, noch andere Leute sah, dann tat er es auf eigene Rechnung und lud mich zu diesen Begegnungen nicht ein. In Bath logierte er in einem sehr vornehmen Hotel (Mulryan und ich in einem anderen, das lediglich angenehm war, unsere Stellung war eine andere), dem Royal Crescent, wenn ich mich recht erinnere, in dem ›fast ständig‹, wie mein Chef sagte, ein mexikanischer Millionär residierte, ›der offiziell pensioniert, aber aus einer gewissen Distanz und aus dem Hintergrund noch sehr aktiv‹ war und mit dem er irgendwelche Vereinbarungen treffen wollte. Dieser ältere Mann mit weißem Haar und Schnurrbart, mit Spuren eines gefälligen Äußeren oder Zeichen seines baldigen Niedergangs, der dem alten Schauspieler César Romero ähnelte und Esperón Quigley hieß, sprach ein tadelloses Englisch mit üblem Akzent (so ergeht es vielen Latinos der beiden Kontinente), mein Zutun war nur gelegentlich nötig, wenn die Sprechweise des Herrn für das reine englische Gehör Tupras und das halb irische Mulrayns so unverständlich war, daß sie die korrekten Wörter in der extravaganten Aussprache Esperón Quigleys nicht erkannten. Wie gewöhnlich verfolgte ich nicht aufmerksam, was sie verhandelten, es war nicht meine Sache, es langweilte mich von vornherein, und ich zog es vor, nichts mitzubekommen. Die übrige Zeit hatte ich frei und verbrachte sie damit, spazierenzugehen, den Fluß Avon zu betrachten, die römischen Bäder und einige Antiquitätengeschäfte zu besuchen und Jane Austen an einem Ort wieder zu lesen, an dem sie ein paar literarisch wenig fruchtbare Jahre zugebracht hatte, dazu die eine oder andere Seite von William Beckford, der sich lange Zeit dorthin zurückgezogen hatte und unzufrieden lebte und starb, weit entfernt von seiner geliebten Abtei oder seinem Herrenhaus in Fonthill, das ihn ruiniert hatte. Bei einem der Rundgänge durch die Stadt stieß ich erstaunt auf ein Geschäft, einen eher bescheidenen Juwelier- und Uhrenladen, der unwahrscheinlicherweise Tupra hieß. Er lag nicht weit entfernt von einem anderen mit höheren Ansprüchen, der sich, wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, im Schaufenster als Lieferant der Admiralität ausgab (ich nahm an, daß sich das nur auf Uhren bezog und nicht auf Edelsteine und Schmuck für Matrosen). Als ich diesen Zufall Tupra gegenüber erwähnte, antwortete er mir trocken:
»Ja, ich weiß. Kein Zusammenhang. Nicht die geringste Beziehung. Nicht die geringste.« Es konnte stimmen oder völlig falsch und der Uhrmacher sein Vater sein. Aber ich
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