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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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dir sprechen möchte, ist eine andere Sache, obwohl sie indirekt mit Toby zu tun hat, etwas mit ihm zu tun hat. Gestern habe ich doch etwas auf heute verschoben, nicht? Auf, lies weiter, du bist noch nicht zu Ende, sei so gut.« Und er berührte mit einem befehlshaberischen Zeigefinger, der sich von oben nach unten bewegte, als wäre er autonom und folgte seiner Schwerkraft (er ließ ihn fast senkrecht fallen) den dicken Band, der offen vor mir lag.
    »Peter, Sie können mich jetzt nicht so hängenlassen«, wagte ich zu protestieren.
    »Es wird schon noch zur Sprache kommen, Jacobo, keine Sorge, du wirst es erfahren. Aber die Geschichte ist trivial, sie wird dich enttäuschen. Komm, lies weiter. Und lies mir bitte laut vor. Ich will auch nicht, daß du bis zu Ende liest, das ist langweilig. So kann ich dir sagen, wo du aufhören sollst.«
    Ich kehrte zu dem biographischen Artikel zurück, zum nächsten Abschnitt, der mit »Werdegang« oder »Studien« überschrieben war. Und ich las laut in englisch, übersprang dabei jedoch die für mich unverständlichen Abkürzungen und Sigel:
    » Cheltenham College; Queen’s College, Oxford; Lecturer of St John’s College, 1937–53, and Queen’s College, 1938–45. Enlisted, 1940. « Und hier konnte ich nicht vermeiden, innezuhalten, so bald, obwohl er mich noch nicht dazu aufgefordert hatte. Ich hob den Blick. »Sie sind 1940 Soldat geworden, das wußte ich nicht«, sagte ich. »Und ich sehe, daß nirgendwo das Jahr 36 erscheint. War vielleicht das die Zeit, in der Sie in Spanien waren? Viele Briten, die nach Spanien gegangen waren, verließen es Anfang oder Mitte 37, verschreckt oder verwundet, sie haben es nicht lange ausgehalten, darunter auch George Orwell.« Dabei fiel mir ein, daß ich für alle Fälle und erfolglos auch den Namen Rylands in den Namensregistern der während der Nacht konsultierten Bücher gesucht hatte, dann war es also auch nicht sein möglicher erster oder wahrer Name gewesen, Peter Rylands, den Wheeler während des Krieges in meinem Land getragen hatte. Oder vielleicht doch, aber er hatte sich nicht in ihm hervorgetan, um spätere Erwähnungen in den Geschichtsbüchern zu verdienen, und er hatte mir nur zum Spaß erlaubt, es mir vorzustellen.
    Wheeler schien meine Gedanken zu lesen, nachdem er meine unvorbereitete Frage gehört hatte.
    »Viele sind nie weggegangen, sie sind noch immer da, verschreckt und verwundet. Tödlich verwundet«, antwortete er. »Aber lassen wir jetzt den spanischen Krieg, auch wenn du gestern nacht so tief darin versunken bist, ich bitte dich. Fast niemand benutzte damals seinen Namen, viele auch nicht während des Zweiten Weltkriegs. Nicht einmal Orwell hieß George Orwell, wie du dich erinnern wirst.« Ich erinnerte mich nicht, und da er meine Gedächtnisschwäche bemerkte, fügte er hinzu: »Nein? Sein wahrer Name war Blair, Eric Blair, ich kannte ihn ein wenig, während des Krieges war er in der Indien-Abteilung der BBC. Eric Arthur Blair. Er war in Bengalen geboren und hatte in seiner Jugend in Birma gelebt, er kannte den Orient gut. Er war zehn Jahre älter als ich. Jetzt bin ich es unendlich mehr. Er starb jung, das weißt du, er wurde keine fünfzig Jahre alt.« ›Noch einer‹, dachte ich, ›noch ein ausländischer Brite oder künstlicher Engländer.‹ »Gut also, los, lies weiter, oder wir werden nie über das reden, worüber wir reden müssen.«
    »Entschuldigen Sie, Peter.« Und ich las: » Commissioned Intelligence Corps, December 1940; Temporary Lieutenant-Colonel, 1945; specially employed in Caribbean, West Africa and South East Asia, 1942–46. Fellow of Queen’s College, 1946–53 … «
    »Genug.« That’s enough in Englisch, der Sprache, in der wir sprachen, etwas anderes wäre unhöflich gewesen gegenüber Frau Berry, es wunderte mich ein wenig, daß sie sich nicht zurückgezogen hatte, das pflegte sie normalerweise zu tun, auch bei konventionelleren Gesprächen oder solchen, die nicht auf irgend etwas ausgerichtet waren, ich wußte noch immer nicht, worum es bei diesem ging. Dann war es also das, was Wheeler mir zeigen wollte: ›1940 dem Nachrichtendienst zugeteilt‹ (heute würden die schlechten Übersetzer ›Nachrichtenkorps‹ sagen, es ist egal, beides dürfte der Geheimdienst sein, der MI5 und der MI6, Military Intelligence bedeuten die Initialen, für manche ein begrifflicher Widerspruch, das britische Gegenstück zu den sowjetischen GPU, OGPU, NKWD, MGD, KGB, zahllos ihre Namen im Lauf

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