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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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der Zeit: der MI5 für das Inland und der MI6 für das Ausland, ersterer mit Augenmerk auf dem Nationalen und auf dem Internationalen letzterer); ›Provisorischer Oberstleutnant 1945; Sonderaufträge‹ (das heißt Missionen) ›in der Karibik, in Westafrika und in Südostasien zwischen 1942 und 1946‹. Das hatte ich gerade gelesen. »Der Rest betrifft uns jetzt nicht, das sind meine Verdienste und Publikationen und beruflichen Stationen, blablabla«, fügte er hinzu.
    »Auch Toby war beim MI5, das wurde erzählt, als ich hier unterrichtete«, sagte ich. »Na ja, um die Wahrheit zu sagen, er hat es mir bei einer Gelegenheit bestätigt.«
    »Er hat dir davon erzählt?« fragte Wheeler. »Das ist merkwürdig. Merkwürdig und sogar höchst merkwürdig, du mußt einer der wenigen gewesen sein, denen er es erzählt hat. Er war eher beim MI6, wir beide waren dort während des Krieges, wie fast alle Leute in Oxford und Cambridge, ich meine diejenigen von uns, die genügend Bildung und Weltläufigkeit besaßen und Sprachen konnten und außerdem sehr viel weniger nützlich an den Fronten gewesen wären, obwohl auch wir welche betreten mußten. Daß der MI6 oder die SOE uns rekrutierten oder nach uns verlangten, war weiter nichts Besonderes, sie fingen sogar an, sich für die verantwortungsvollen Aufgaben und Posten aus unseren Reihen zu bedienen.« Er bemerkte, daß ich die letzte Abkürzung nicht kannte, und erklärte sie mir: »Special Operations Executive, sie arbeitete nur während des Krieges, von 1940 bis 45. Nein, ich lüge, sie wurde offiziell 1946 aufgelöst. Wirklich und vollständig, na ja, ich nehme an, nichts von dem, was existiert, löst sich jemals vollständig oder wirklich auf. Sie waren Vollstrecker, wie der Name sagt, und ziemlich miese; der MI6 befaßte sich mit Ermittlung und Information, gut, nenne es Spionage und bewußte Irreführung; die SOE mit Sabotage, Subversion, Mord, Zerstörung, Terror.«
    »Mord?« Ich fürchte, bei diesem Wort kann man sich nie zurückhalten und schweigen, weniger noch als bei seinem Gefährten, dem Terror.
    »Ja, gewiß. Sie haben Heydrich umgebracht, den Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, eine ihrer größten Taten, wie stolz sie waren, im Jahre 42. Es waren zwei tschechische Widerstandskämpfer, die Granaten auf sein Automobil warfen und es beschossen, aber geplant und organisiert hatte die Operation Oberst Spooner, einer der Chefs der SOE. Übrigens mit wenig Voraussicht, schlechtem Kalkül und mäßiger Durchführung, vielleicht hast du von dieser Sache gehört oder sie in irgendeinem Film gesehen, ich weiß nicht, ob der Zweite Weltkrieg dich besonders interessiert hat. Heydrichs Verletzungen waren nicht unbedingt tödlich; man glaubte, er würde mit dem Leben davonkommen, und für jeden Tag seiner Genesung (besser gesagt, seiner Agonie) bezahlten hundert Geiseln, die in der Abenddämmerung erschossen wurden. Er brauchte eine Woche, um zu sterben, stell dir vor, und daß er tatsächlich starb, lag daran, so sagt man, daß das Gift, mit dem die Kugeln imprägniert waren, schließlich seine langsame Wirkung tat. Na ja, den Deutschen zufolge: Sie behaupteten, sie seien mit Botulin imprägniert gewesen, das die SOE aus Amerika herbeigeschafft hatte, ich weiß nicht, es kann sein, daß die deutschen Ärzte Mist gebaut hatten, sie wollten ihren Hals retten und erfanden diese Geschichte. Aber wenn die Geschichte stimmte und Frank Spooner tatsächlich die Munition vergiften ließ, dann hätten sie die doch mit etwas einreiben können, das stärker gewesen wäre und rascher gewirkt hätte, oder?, vielleicht mit Curare, wie die Indianer ihre Pfeile und Lanzen, oder?« Und Wheeler lachte ein wenig, ohne Fröhlichkeit; zum ersten Mal erinnerte mich sein Lachen an das von Rylands, das kurz und trocken war und ein wenig diabolisch und nicht gehaucht klang ( hahaha ), sondern plosiv, mit einem eindeutig alveolaren t , wie das t immer im Englischen ist: Tatata , machte er. Tatata . »Natürlich wäre es letztlich egal gewesen, wie rasch. Als Heydrich endlich starb, löschten die Nazis die gesamte Bevölkerung von Lidice aus, das Dorf, in dem die Agenten der SOE, die das Attentat in situ dirigierten, mit ihren Fallschirmen abgesprungen waren. Niemand überlebte, aber das genügte ihnen nicht, und so legten sie den Ort in Schutt und Asche, sie machten ihn dem Erdboden gleich, sie löschten ihn aus, seltsam, ihr starker räumlicher Sinn, etwas Krankhaftes, ihr Haß auf die Orte,

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