Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Finger dazwischen –, um einen Blick auf den Buchrücken zu werfen und zu erfahren, was das für ein Buch war.
»Das Who’s Who ?« Es war eine rhetorische Frage, denn es war ohne jeden Zweifel das Who’s Who mit seinem tiefroten Einband, der Führer der mehr oder weniger illustren Namen, die Ausgabe jenes Jahres im Vereinigten Königreich.
»Ja, das Who’s Who , Jacobo. Bestimmt bist du nie auf die Idee gekommen, mich darin zu suchen. Mein Name steht auf der Seite, wo es aufgeschlagen ist. Lies, was da steht, komm, sei so gut.«
Ich schaute, suchte, es gab einige Wheelers, Sir Mark und Sir Mervyn, einen gewissen Muir Wheeler, den Wohlgeborenen Sir Patrick und Hochehrwürden Philip Welsford Richmond Wheeler, und da war er, zwischen den beiden letzteren: ›Wheeler, Prof. Sir Peter‹, danach eine Klammer, die ich nicht auf Anhieb verstand, sie lautete ›(Edward Lionel Wheeler)‹. Aber ich brauchte nur zwei Sekunden, um mich zu erinnern, daß Peter seine Schriften mit ›P.E. Wheeler‹ zu unterzeichnen pflegte und daß das E zu Edward gehörte, also führte die Klammer lediglich den Namen in seiner offiziellen Vollständigkeit an.
»Lionel?« fragte ich. Es war eine weitere rhetorische Frage, wenn auch nicht zu sehr. Mich überraschte dieser dritte Vorname, der mir immer wie ein Schauspielername erschienen war, sicher wegen Lionel Barrymore und wegen Lionel Atwill, der gegen den großen Basil Rathbone als Sherlock Holmes der Erzfeind Professor Moriarty gewesen war, und wegen Lionel Stander, der in Amerika von Senator McCarthy verfolgt wurde und ins Exil nach England gehen mußte, um arbeiten zu können (und sich in einen künstlichen Engländer zu verwandeln). Und dann war da noch Lionel Johnson, aber das war ein Dichterfreund von Wilde und Yeats, von dem John Gawsworth abstammte, wie er erzählte (John Gawsworth, das literarische Pseudonym dessen, der im Leben Terence Ian Fytton Armstrong war, jener verborgene Schriftsteller, Bettler und König, der mir während meiner Lehrzeit in Oxford vor so vielen Jahren ein wenig zur Obsession geworden war; natürlich schloß seine phantasievolle Abkunft auch jakobitische Adlige, das heißt aus dem Zweig der Stuarts, ein und den Dramatiker Ben Jonson, den Zeitgenossen Shakespeares, und die angebliche »Dunkle Dame« oder »Dark Lady« der Sonette des letzteren, Mary Fitton, die Hofdame). »Lionel?« wiederholte ich mit einer winzigen Spur von Spott, die Wheeler bemerkte.
»Ja, Lionel. Ich benutze ihn nie, was ist damit? Halt dich nicht mit Albernheiten auf, das ist es nicht, worum es geht, was du sehen sollst. Lies weiter, auf.«
Ich kehrte zu dem biographischen Artikel zurück, aber ich mußte sofort innehalten und wieder den Blick heben, nachdem ich seine Geburtsdaten gelesen hatte, die lauteten: ›Geboren am 24. Oktober 1913 in Christchurch, Neuseeland. Ältester Sohn von Hugh Bernard Rylands und der verstorbenen Rita Muriel, geborene Wheeler‹ – née stand da, in französischer Manier. ›Nahm durch notarielle Beglaubigung 1929 den Familiennamen Wheeler an.‹
»Rylands?« Dieses Mal lag nichts Rhetorisches mehr in der Frage, nur spontane, aufrichtige Verblüffung. »Rylands?« wiederholte ich. Meine Augen drückten bestimmt Mißtrauen aus und vielleicht einen leichten Vorwurf. »Das ist nicht, das kann nicht … oder? Das kann kein Zufall sein.«
In dem Blick, den Wheeler mir zurückgab, spiegelte sich eine Mischung aus Ungeduld und Geduld oder aus Unmut und Paternalismus, als hätte er bereits vorausgesehen, daß ich mich damit aufhalten würde, mit dem unerwarteten Namen seines Vaters Rylands, und als akzeptierte und verstünde er meine Reaktion, als langweilte ihn jedoch diese Frage oder als sähe er sie wie eine lästige Formalität, bevor er sich auf das konzentrieren konnte, was er in diesem Augenblick ansprechen wollte. Seiner Miene nach zu urteilen hätte er mir ohne weiteres sagen können: ›Das ist es auch nicht, worum es geht, was du sehen sollst, Jacobo. Lies weiter.‹ Und das sagte er mir dann mehr oder weniger auch, aber nicht sofort, er nahm etwas Rücksicht auf mich; nicht ohne zuvor einen leichten Versuch zu machen, sich vor meinen Vorwürfen in Sicherheit zu bringen:
»Ach komm. Du wirst mir doch jetzt nicht sagen, daß du es nicht gewußt hast.«
»Peter.« Mein Ton war ernsthaft warnend und sogar deutlich tadelnd, so wie ich ihn manchmal bei meinen Kindern benutzte, wenn sie hartnäckig zerstreut taten, um nicht gehorchen zu
Weitere Kostenlose Bücher