Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
und es an den besten, an den angezeigten Orten gesucht. Und sie haben immer Linguisten, Entzifferer, Leute gebraucht, die Sprachen konnten: Ich glaube nicht, daß es in der Slawischen Abteilung hier jemanden gegeben hat, der ihnen nicht irgendwann einmal irgendeinen Dienst geleistet hat. Nicht vor Ort, natürlich, keine Mission, jemand aus der Slawischen Abteilung war durch seinen Beruf schon zu sehr belastet, um ihnen dort nützlich zu sein, es wäre gewesen, als würde man einen Spion aussenden mit dem Schild ›Spion‹ auf der Stirn. Aber man hat sie zum Übersetzen eingesetzt, als Dolmetscher, zum Dechiffrieren, zum Beglaubigen von Bandaufnahmen und zum Abschleifen von Akzenten, zum Abhören und zum Verhören, in Vauxhill Cross oder in der Baker Street. Vor dem Fall der Mauer natürlich, jetzt brauchen sie sie nicht mehr so oft, jetzt sind Arabisten und die Gelehrten des Islam an der Reihe, die haben noch keine klare Vorstellung von dem, was auf sie zukommt, sie werden ihnen keine Ruhe lassen.« Ich mußte an den sturen Rook denken, den ewigen Tolstoi-Übersetzer und angeblichen, unwahrscheinlichen Freund von Vladimir Nabokov, und an Dewar den Schlitzer, den Schlächter, den Hammer und den Inquisitor (armer unter Schlaflosigkeit leidender Dewar und wie ungerecht seine Beinamen), der Hispanist war, aber Puschkin auf russisch las, wie ich entdeckt hatte, als er sich mit lauter oder halblauter Stimme an seinen jambischen Stanzen ergötzte. Alte Bekannte aus der Stadt Oxford, in der ich mich zwei Jahre aufgehalten hatte, aber immer vorübergehend, mit fast allen hatte ich die Verbindung abgebrochen nach meiner Rückkehr nach Madrid. Cromer-Blake und Rylands, mit denen mich die engste Freundschaft verbunden hatte, tot. Clare Bayes vielleicht wieder bei ihrem Mann Edward Bayes oder mit einem neuen Geliebten zusammen, jedenfalls blieb keine Lücke für mich als Freund, oder für mich gab es keine Rechtfertigung, sie war heimlich gewesen, unsere Innigkeit. Mit Kavanagh, dem Leiter meiner Abteilung, hatte ich sporadisch Kontakt, ein amüsanter Mann und großer Hypochonder, vielleicht schrieb er deshalb unter diesem Pseudonym seine Horrorromane, zwei verschiedene Formen, süchtig nach Schrecken zu sein. Und Wheeler. Doch in Wirklichkeit war dieser erst nach meinem Aufenthalt in Erscheinung getreten, war eher ein Erbe von Rylands und sein Nachfolger, sein Ersatz oder seine Ablösung in meinem Leben, jetzt erfuhr ich vom Familiencharakter, ich meine des Erbes und der Nachfolge. Wheeler verharrte einen Moment nachdenklich (vielleicht erbarmte er sich irgendeines ihm bekannten Arabisten und des Schicksals, das ihn als vom MI6 Bedrängter erwartete), und dann kam er auf etwas zurück, er ließ nicht locker: »Es ist sehr merkwürdig, daß Toby dir etwas davon erzählt hat. Er mochte nicht, daß man es wußte, auch erinnern mochte er sich nicht. Ich auch nicht, im Grunde, glaub jetzt nicht, ich werde dir Abenteuer in der Karibik oder in Westafrika oder in Südostasien erzählen, wie die ungenauen Anklagepunkte des Who’s Who lauten. Was hat er dir bei der Gelegenheit gesagt? Erinnerst du dich, wie es war?«

U nd ob ich mich erinnerte, fast Wort für Wort, nie zuvor hatte Rylands so lebhaft gesprochen, so hingegeben an seine Erinnerung und so jenseits seines Willens. Es stimmte: er erinnerte sich nicht gern in Gesellschaft, und er wollte nicht, daß man wußte.
    »Wir sprachen über den Tod«, sagte ich. ›Das schlimme daran, daß der Tod näherrückt, ist nicht der Tod selbst mit allem, was er mit sich bringt oder nicht, sondern daß man sich keinen Phantasien mehr über das Kommende hingeben kann‹, hatte Rylands gesagt, in einem Gartenstuhl sitzend, am selben gemächlichen Fluß, den wir jetzt sahen, am Cherwell mit seinen erdigen Wassern, nur daß das Haus von Rylands auf ein wilderes, verwunscheneres und sehr viel weniger beruhigendes Stück hinausging. Bisweilen erschienen Schwäne, denen er Brotbrocken hinwarf.
    »Über den Tod? Auch das ist merkwürdig«, meinte Wheeler. »Es ist merkwürdig, daß Tony darüber sprach, und es ist merkwürdig, daß überhaupt jemand darüber spricht, mehr noch, wenn man schon mit ihm rechnet, wegen Krankheit oder Alter. Oder auch wegen seines Charakters.« ›Wheeler rechnet schon damit‹, dachte ich, ›aber eher wegen seiner Intelligenz als wegen seines Alters.‹
    »Cromer-Blake war schon sehr krank, wir fürchteten, was dann später eingetreten ist. Daß wir darüber sprachen und

Weitere Kostenlose Bücher