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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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sobald wir uns der Niederlage oder dem Sieg gegenübersehen, vor allem einem Sieg. Sie sind wie hermetisch voneinander abgeschlossen, der Zustand des Friedens, der Zustand des Krieges. Was für eine Verschwendung.« Und dann knüpfte er wieder an das Vorherige an. »Sieh dir das an, hast du schon einmal solche Abbildungen gesehen?«
    Wheeler holte aus seiner Mappe einen vergilbten Zeitungsausschnitt mit einer Zeichnung, auf der als erstes ein großes Hakenkreuz in der Mitte ins Auge sprang, behaart wie eine Spinne, und das Netz, das sie gesponnen hatte, das eine Reihe von Szenen umhüllte oder vielmehr gefangenhielt. »Information für den Feind«, besagten die großen Buchstaben, vermutlich ein Titel, nach den kleinen am unteren Ende zu urteilen, die mehr oder weniger lauteten: »Dieses Werk von G.R. Rainier, das veranschaulicht, wie Teile unvorsichtiger Gespräche« (belassen wir careless talk in dieser Form) »so harmlos sie im Augenblick erscheinen mögen, vom Feind zusammengesetzt werden und auf diese Weise lebenswichtige Geheimnisse verraten können, wird heute abend um punkt zehn Uhr erneut ausgestrahlt.« Es waren vier Szenen: Drei Männer plaudern in einem Pub, während sie beim Dartspiel sind, der leicht entfernt stehende wäre der Spion, aufgrund des auffälligen Monokels, der gekrümmten Nase, des aufgebauschten Künstlerhaars und des affektierten Bartes; ein Soldat unterhält sich in einem Zug mit einer blonden Dame, sie wäre ohne Zweifel die Spionin, nicht nur weil kein anderer in Frage kommt, sondern auch aufgrund ihrer Eleganz; zwei Paare sprechen auf der Straße miteinander, zwei Männer und ein gemischtes: die jeweiligen Spione waren vermutlich der Typ mit der Fliege und der mit dem Halstuch, obwohl das hier nicht so eindeutig war (aber ich würde sagen, es sind diejenigen, die zuhören); zu guter Letzt wird ein Pilot zu Hause empfangen, sicher von seinen Eltern, und in zweiter Linie von einem jungen Dienstmädchen mit Schürze und Haube: bestimmt ist sie die Spionin, weil sie jung ist und angestellt, nicht zugehörig. Außer diesen Szenen gibt es noch ein Flugzeug unten und eines oben, das obere dicht an einem unbegreiflichen, vielleicht getarnten Lieferwagen, auf dem als Firmenschild »Wäscherei« steht.
     
     
     
    »Nein, das kannte ich nicht«, sagte ich, und nachdem ich die Zeichnung von Eric Fraser ausgiebig betrachtet hatte, drehte ich den Zeitungsausschnitt um, wie ich es immer mit den alten tue. Radio Times , 2. Mai 1941. Es erschien ein Teil des Programms jener Tage, der BBC, nahm ich an, die damals nur aus dem Rundfunk bestand. Der vollständige Titel des didaktischen Werkes jenes Mr. Rainier (der Name wirkte eher deutsch als englisch, oder vielleicht war er Monegasse) lautete, wie ich sehen konnte, Fifth Column: Information to the Enemy . Dieser Ausdruck, fünfte Kolonne, war in meiner Stadt entstanden, glaube ich, in Madrid, das drei Jahre lang von Franco und seinen Truppen und seinen deutschen Piloten und seinen maurischen Sturmsoldaten belagert wurde und von quintacolumnistas , Angehörigen seiner fünften Kolonne, verseucht war, wir hatten rasch beide Begriffe in andere Sprachen und an andere Orte exportiert: Damals, im Mai 1941, war es erst fünfundzwanzig Monate her, daß die einen von uns sich der Niederlage gegenübergesehen hatten und die anderen dem Sieg, meine Eltern waren unter den einen, und ich auch, als ich zur Welt kam (die Verschwendung ist weitaus größer und dauert länger unter den Besiegten). Dieses Rundfunkprogramm von vor gut sechzig Jahren enthielt (der Blick wandert immer zu den Worten in der eigenen Sprache) den Auftritt von › Don Felipe and the Cuban Caballeros, with Dorothe Morrow ‹, sie sollten eine halbe Stunde spielen, bis zum Programmschluß um elf Uhr: › Time, Big Ben: Close down ‹. Wo mochten sie jetzt sein, Don Felipe und die Caballeros aus Kuba und diese so unpassende Dorothea Morgen, wahrscheinlich die Sängerin. Wo, wenn am Leben, und wo, wenn tot. Denn wer konnte wissen, ob es ihnen gelungen war, an jenem Abend aufzutreten, oder ob sie von irgendeinem Bombardement der deutschen Luftwaffe daran gehindert wurden, das von Angehörigen der fünften Kolonne und Spitzeln und Spionen unseres Territoriums geplant und dirigiert worden war. Wer konnte überhaupt wissen, ob sie den Tag überlebt hatten.
    »Und das? Und das? Schau dir das an; und das, und das.« Wheeler fuhr fort, Zeichnungen aus seiner Mappe zu holen, jetzt in Farbe und keine

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