Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Lächelns. Und dann weiß man sofort, daß man dieser reifen Frau, die einem gerade vorgestellt wurde, absolut trauen kann. Man weiß, daß sie einem nicht weh tun wird, oder zumindest nicht ohne vorherige Warnung.

S ie war sehr nützlich, diese Fähigkeit oder Gabe, während des Krieges, sie ist unschätzbar in Kriegszeiten, deshalb wurde sie damals organisiert und kanalisiert, sie wurde bewußt aufgespürt, bald wurde deutlich, daß es wenige waren, die sie besaßen, diese Gabe, diese Fähigkeit, und noch weniger vielleicht in jener Zeit, der Krieg verzerrt die Sicht bis zu unvorstellbaren Extremen, die Hälfte der Leute sieht überall Gespenster und Hexen, und bei der anderen verschärft sich die übliche Neigung, nichts zu sehen und auch nichts sehen zu wollen. Aber es war der Krieg, der uns hervorgebracht hat, uns fallen die Dinge nur ein, wenn wir sie brauchen, selbst die einfachsten«, hatte Wheeler im Garten gemurmelt, während wir langsam am Fluß entlanggingen in Erwartung des Mittagessens. »Es war ein Jammer, daß die Idee nicht ein paar Monate früher aufkam, vielleicht wäre Val, meine Frau, Valerie, in diesem Fall nicht gestorben. Aber unglückseligerweise war sie schon gestorben, als Manzies oder Ve-Ve Vivian oder Cowgill oder Hollis oder sogar Philby auf die Idee kam, ich weiß es nicht mehr (Jack Curry glaube ich nicht, ihn schließe ich aus), jeder wollte der einfallsreichste sein, damit hat man immer beim MI5 und beim MI6 angegeben, sie belauerten sich, am Ende spionierten sie sich auch gegenseitig aus, das wird noch immer so sein, das ist sicher. Höchstwahrscheinlich ist sie Churchill persönlich eingefallen, er war der schlaueste und kühnste, derjenige, der sich am wenigsten davor fürchtete, sich lächerlich zu machen. Es ist egal. Diese Dinge, diese Vaterschaften kennt niemand, sie zählen nur für die Kandidaten, die Anspruch erheben, die Vertreibung des Todesstaubs in unseren schon so fernen Gestern erfunden zu haben«, sagte Wheeler mit leicht bitterem Humor in Anspielung auf Shakespeares berühmtes Zitat, »jeder erzählt seine Geschichte, und keinem glaubt man oder schenkt man die geringste Beachtung. Wie auch immer, alles ging aus von der Kampagne gegen den careless talk , hast du davon gehört?« Der Ausdruck kam mir bekannt vor, ›sorgloses Gespräch‹ wortwörtlich oder ›fahrlässiges‹ oder ›leichtsinniges‹ oder ›unvorsichtige Unterhaltung‹, schwierig eine befriedigende und genaue Übersetzung, ich brachte ihn in Zusammenhang mit dem, was wir im Spanischen als ›leichtfertig reden‹ kennen, obwohl es auch das nicht ist, auch nicht ›Klatsch‹ oder ›Gerede‹ oder ›Geschwätz‹. Ich schüttelte den Kopf: jedenfalls wußte ich nichts von einer Kampagne gegen das so Bezeichnete. Zum damaligen Zeitpunkt wußte ich auch nicht, was das für Namen waren, die Wheeler so gewandt aufgezählt hatte, mit Ausnahme Churchills natürlich und des berühmten Doppelagenten Kim Philby (noch ein ausländischer oder künstlicher Engländer, in Indien geboren als Sohn eines Forschers und Orientalisten, der, seinerseits aus Ceylon gebürtig, mit mehr als vierzig Jahren zum Islam übergetreten war), der sich außerdem während unseres Krieges als Korrespondent der Times in Spanien aufgehalten hatte, im Lager der Aufständischen, aber, wie es scheint, mit dem (sowjetischen, nicht britischen) Auftrag, seine Nähe auszunutzen und Franco zu ermorden (er wurde ihm natürlich nicht gerecht, nicht einmal versuchsweise: sie müssen ihn dafür bestraft haben). Erst später erfuhr ich, daß sie alle Beamte oder Spione mit sehr hohen Verantwortlichkeiten gewesen waren, so wie ich zum Beispiel auch erst nach einer Weile erfuhr (ich werde mich nicht mit naturgegebenen Kenntnissen schmücken), daß der erste von Wheeler genannte Name, Menzies, so lautete und so geschrieben wurde, denn er hatte ihn merkwürdigerweise wie ›Mingiss‹ ausgesprochen. »Nein? Hmm«, fuhr Wheeler fort, während er seine Mappe öffnete und ein wenig in ihr suchte. »Sie wurde während des Krieges organisiert, das ganze Land wurde überschwemmt mit Plakaten, Bekanntmachungen, bebilderten Beispielen, Aufrufen in Rundfunk und Presse, mit den Zeichnungen von Eric Fraser und vielen anderen, Eric Kennington, Wilkinson, Beggarstaff (hier habe ich einige, du wirst sehen), als wir alle uns einredeten und davon überzeugt waren, daß England und Schottland und Wales von Nazispionen verseucht waren, von denen viele durch Geburt,

Weitere Kostenlose Bücher