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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Augenblick man aufhört, wie vorher zu lieben, oder die anderen aufhören, einen selbst zu lieben, wer mit uns ins Bett gehen wird und wer nicht, und wann ein Freund seinen eigenen Neid entdeckt oder vielmehr beschließt, sich ihm zu überlassen, sich nur noch von ihm leiten und führen zu lassen; wann er Ressentiment auszustrahlen beginnt oder ansammelt; wir wissen, was in uns verzweifelt oder explodiert und was uns verurteilt, was hätte gesagt werden sollen und wir nicht gesagt haben oder was hätte verschwiegen werden sollen und wir nicht verschwiegen haben, was bewirkt, daß man uns eines Tages plötzlich mit anderen Augen sieht – trüben oder bösen Augen: es ist schon Abneigung –; wann wir enttäuschen oder wann es irritiert, daß wir es noch nicht tun, daß wir noch nicht den ersehnten Vorwand liefern, um verabschiedet zu werden; welches Detail man nicht erträgt und welches die Stunde bestimmt, in der wir nunmehr für immer unerträglich werden; und wir wissen auch, wer uns lieben wird, bis zum Tod und darüber hinaus und bisweilen uns selbst zum Trotz, über seinen oder meinen oder beider Tod hinaus … bisweilen gegen unseren Willen … Aber niemand will etwas sehen, und so sieht fast niemals jemand, was er vor Augen hat, was uns erwartet oder was wir früher oder später erwarten lassen werden, niemand unterläßt es, ein Gespräch oder eine Freundschaft anzuknüpfen mit dem, der ihm nur Reue und Zwietracht und Gift und Klagen bringen wird, oder mit dem, dem wir es bringen, so sehr wir es auch im ersten Augenblick erahnen oder so deutlich es uns auch entgegentritt. Wir versuchen, die Dinge anders zu sehen, als sie sind und uns erscheinen, wir versteifen uns sinnlos darauf, daß uns jemand gefällt, der uns von Anfang an wenig gefällt, und dem trauen zu können, der uns das blanke Mißtrauen einflößt, es ist, als handelten wir oft wider besseres Wissen, denn so empfinden wir es viele Male, eher als Wissen denn als Intuition oder Eindruck oder Eingebung, all das hat nichts mit Vorahnungen zu tun, es ist nichts Übernatürliches oder Mysteriöses daran, das Mysteriöse ist, daß wir uns nicht danach richten. Und die Erklärung muß einfach sein für etwas, das von so vielen geteilt wird: sie besteht nur darin, daß wir wissen und es verabscheuen; daß wir es nicht ertragen zu sehen; daß wir das Wissen hassen und die Gewißheit und die Überzeugung; und niemand sich in seinen eigenen Schmerz und sein Fieber verwandeln will …‹
    Einige Male, ich sagte es bereits – es waren nur zwei zum damaligen Zeitpunkt, soweit ich hatte sehen können –, tanzte dieser Mann, den ich nicht interpretiere oder reduziere, über den ich mir weder eine klare noch eine vage Vorstellung zu bilden vermag, entgegen seiner Gewohnheit in Begleitung, und zwar mit zwei verschiedenen Frauen, einer Weißen und einer Schwarzen oder Mulattin (ich wußte es nicht so genau, das schwache Licht); aber auch dann schien seine Aufmerksamkeit eher sich selbst und seinem Genuß zu gehören als seinen Partnerinnen, obwohl es ihm sicher gefiel, auf ihre Gesellschaft zählen zu können, um die Szenerie zu verändern und an ihnen vorbeizutanzen und nach ihnen zu fassen oder sie zu streifen in der Länge des freigeräumten Wohnzimmers, ein ganzer Bereich oder ein Streifen ohne Möbel, das heißt, ohne Hindernisse, als hielte er ihn absichtlich frei, um leichter hin- und herjagen zu können. Die Weiße trug Hosen, ein Jammer; die Schwarze dagegen einen Rock, der flog und hochflog, und manchmal fiel er danach nicht ganz herunter, er blieb einige Augenblicke an den Strümpfen hängen (na ja, den ganzen Strümpfen, oder wie sie heißen, die bis zur Taille reichen), bis eine neue Körperbewegung oder ein zerstreuter Handgriff den Stoff löste und ihn wieder den zensorischen Gesetzen der Schwerkraft überließ. Es gefiel mir, ihre Schenkel zu sehen und flüchtig die Hinterbacken, deshalb verzichtete ich auf den Gebrauch des Fernglases, im Prinzip ist spionieren nicht mein Stil, zumindest nicht mit Hintergedanken, und in diesem Fall hätte es sie gegeben. Die weiße Frau ging nach der Tanzvorstellung, ich sah sie aus dem Portal des Gebäudes kommen, in dem der Mann wohnte, und auf ihr Fahrrad steigen (vielleicht deshalb die Hose, obwohl man auch nicht unbedingt einen Grund für sie suchen muß); die Schwarze oder Mulattin blieb über Nacht, glaube ich; sie hörten auf, nachdem sie eine ganze Weile ihren Spaß gehabt hatten, und dann erloschen

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