Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
die Lichter, und ich sah sie lange nicht fortgehen, es war schon spät, und es war noch später geworden, als ich ins Bett zu gehen beschloß, um sie zu vergessen. Hier in der Wohnung ist ebenfalls manchmal die eine oder andere Frau geblieben, vor allem in den ersten Monaten des Einrichtens, Auskundschaftens und Sondierens: eine ist zurückgekommen, eine andere wollte zurückkommen, aber ich war nicht einverstanden, die dritte kam gar nicht auf den Gedanken, sie stieg schon aus dem Abenteuer aus, bevor es zu Ende war – ja, es waren drei gewesen bis zum damaligen Zeitpunkt –, ich weiß nichts von ihr noch wußte ich es damals, seitdem sie in meiner Küche gefrühstückt hatte, eher mechanisch und rasch als verlegen, so als passe es nicht zu ihr, so früh am Morgen dort zu sein, ein zufälliges Zusammentreffen in derselben Wohnung, sie war mit dem Sohn eines wichtigen Typen verlobt und fand es toll, ihre unmittelbar bevorstehende Hochzeit anzukündigen, und entsetzlich, zu einem so unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt zu heiraten, vielleicht rief er sie ja schon seit dem Vorabend an oder seit dem frühen Morgen, wählte und legte auf und nahm ab und wählte, der nervöse Bräutigam, der keine Antwort bekam oder nur die des Anrufbeantworters oder der Mailbox, es ist unerträglich, vergeblich wieder und wieder anzurufen, ich ertrug es nicht mehr, es bei Luisa zu versuchen, was mochte sie tun, vielleicht hatte sie den Hörer daneben gelegt, weil sie Besuch hatte, vielleicht würde heute nacht jemand bei ihr bleiben, und die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, daß meine ferne Stimme nichts unterbrechen oder aus dem Lot bringen würde – sie hatte wohl plötzlich gemerkt, daß es Donnerstag war, nachdem die Verlängerung des Besuchs im Lauf des Abends beschlossen worden war: die Lanze, das Fieber, mein Schmerz, der Traum, das Wesentliche oder Unbedeutende –, bestand darin, die Kinder etwas früher als sonst ins Bett zu bringen und die ganze Nacht das Telefon abzustellen, man würde morgen immer irgendeine Unachtsamkeit vorschützen können.
Doch nur der Schmeichler und Streber bleibt da, zumindest in dieser Phase, nur der Mann, der sich Verdienste erwirbt, um sich niederlassen und die leere Stelle im warmen Bett einnehmen zu können, ohne den Anspruch zu erheben, irgend etwas zu verändern, denn das Schema seines Vorläufers erscheint ihm perfekt, und er begehrt nur, dieser zu sein, auch wenn er es nicht weiß; der Fröhliche und Heitere geht oder er kommt nicht einmal herein, er will nichts davon wissen, das Kissen über die wachen und tätigen Stunden hinaus zu teilen; und der Despotische und Besitzergreifende verstellt sich am Anfang, er hütet sich sorgsam davor, als Eindringling zu erscheinen, immer wartet er darauf, ermuntert zu werden, und tut man es, lehnt er die ersten Einladungen ab (›Ich will dir nicht die Dinge komplizieren, es wäre dir nicht recht, vielleicht bist du dir nicht sicher, mich morgen sehen zu wollen, ohne dich das zuvor gefragt zu haben‹), er zeigt sich zuvorkommend, respektvoll und sogar behutsam, er bemüht sich, nicht das leiseste Anzeichen von Invasion oder Expansion erkennen zu lassen, und er trödelt oder bleibt nicht bis zu später Stunde im fremden Territorium, eben weil er plant, es sich ganz und gar anzueignen, und kein Risiko eingeht, Verdacht zu erregen. Dieser bleibt nicht über Nacht, nicht einmal, wenn man ihn darum anfleht, nicht am Anfang: dieser zieht sich von Kopf bis Fuß wieder an, trotz der Stunde und der Mattigkeit und der Kälte, und überwindet jede Trägheit – sich wieder die Socken anziehen zu müssen – und vertagt jede Gier und jede Eile – es macht ihm nichts aus, daß sie sich verdichten, die Gier und die Eile –; er nimmt den Wagen oder ruft ein Taxi und geht in der Frühe, ohne Lärm zu machen, auch, um rasch ersehnt zu werden, kaum daß er die Tür hinter sich geschlossen und die des Aufzugs geöffnet hat und die zerzauste und jetzt laue Frau in ihr zerwühltes, ungemütliches Bett hat zurückkehren lassen, zu ihren zerknitterten Laken und zum Geruch, der sich noch nicht verflüchtigt hat. Wenn das der Mann ist, dieser hinterhältige Typ, der sie später weder Tag noch Nacht atmen lassen und sie völlig isolieren wird und der mich nicht einmal vernichten oder mein Grab tiefer graben muß, weil er die Erinnerung an mich mit dem ersten Schrecken und dem ersten Flehen und dem ersten Befehl ausgelöscht haben wird; wenn das ihr Besucher
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