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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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und unfertig wir alle, dumm ich, ich substanzlos, ich unfertig, auch mir darf niemand trauen … Natürlich war ich saturiert lange vor der Zeit, ich war es schon zu Beginn, diese Arbeit bei Radio BBC hatte mich nie interessiert, es war nur die beste und vernünftigste Art gewesen, nicht mehr lästig und phantomhaft und so schweigsam zu sein, dort herauszukommen und mich so zu verlieren.
    »Zu übersetzen habe ich mich nur aus dem Englischen getraut, und ich habe es nicht lange getan. Ich spreche und verstehe ohne Probleme Französisch und Italienisch, aber ich beherrsche beides nicht genug, um mich in meiner Sprache an ihre literarischen Texte zu wagen. Ich verstehe genug Katalanisch, aber mir würde nicht einfallen, es sprechen zu wollen.«
    »Katalanisch?« Es war, als hätte Tupra es zum ersten Mal gehört.
    »Ja, das spricht man in Katalonien, genauso oder mehr, heutzutage einiges mehr, als das Spanische, das Kastilische, wie wir es auf der Halbinsel oft nennen. Katalonien, Barcelona, die Costa Brava, Sie wissen schon.« Doch da Tupra nicht sofort reagierte (vielleicht versuchte er, sich zu erinnern), fügte ich zur Orientierung hinzu: »Dalí? Miró? Maler.«
    »Sag ihm die Caballé, Sopranistin«, warf De la Garza fast von meinem Nacken her ein, »dieser Zampano hat’s bestimmt mit der Oper.« Er verstand ohne Zweifel besser als er sprach, und ihn zogen wie ein Magnet die spanischen Namen an, wenn er sie auffing. Er war von dem Puff aufgestanden und verfolgte mich wieder (Beryl hatte jetzt die Beine übereinandergeschlagen, es hatte seinen Grund). Ich vermutete, er hatte Tupra wieder »Zigeuner« nennen wollen (wegen der Locken, stellte ich mir vor, und des Gekräusels), und aufgrund der zuviel gehobenen Gläser war ihm ein anderes Wort mit Z und mit vielen Vokalen herausgerutscht.
    »Gaudí? Architekt«, schlug ich vor, ich hatte keine Lust, ihn zu beachten, es hätte bedeutet, ihn am Gespräch teilnehmen zu lassen.
    »Nein, ja, natürlich, George Orwell und das alles«, sagte daraufhin Tupra, der schließlich begriff. »Entschuldigen Sie, ich habe nachgedacht … Ich habe meine Lektüre über Ihren Bürgerkrieg ziemlich vergessen, es ist Jugendlektüre, Sie wissen ja, man liest über diesen romantischen Krieg mit neunzehn oder zwanzig, vielleicht wegen der idealistischen britischen Jungs, die auszogen, um freiwillig in ihm zu sterben, einige waren Dichter, man identifiziert sich leicht in diesem Alter. Na ja, heute weiß ich nicht, ich spreche von meiner Zeit, obwohl ich sagen würde, es gilt noch immer, für junge ruhelose Geister, natürlich: Sie lesen noch immer Emily Brontë und Salinger, Zehn Tage, die die Welt erschütterten und über Ihren Bürgerkrieg, diese Dinge haben sich gar nicht so sehr verändert. Ich erinnere mich, daß die Geschichte von Nin mich immer sehr beeindruckt hat, was für eine irrsinnige Anschuldigung, diese Sache mit der Spionage. Und die Farce der deutschen Brigadisten, die sich als Nazis ausgaben und kamen, um ihn zu befreien, das beweist, daß selbst das Unsinnigste und Unwahrscheinlichste seine Zeit hat, um geglaubt zu werden. Manchmal dauert sie nur Tage, diese Zeit, aber manchmal dauert sie für immer. Im Grunde wird tendenziell alles geglaubt, zuerst. Das ist sehr seltsam, aber so ist es.«
    »Nin, der trotzkistische Parteiführer?« fragte ich überrascht. Es wollte mir nicht einleuchten, daß Tupra Dalí und Miró, die Caballé und Gaudí nicht kannte (das hatte ich aus seinem Schweigen geschlossen), dafür aber vertraut war mit Andrés Nin, dem Verleumdeten, sicher mehr als ich. Vielleicht wußte er nichts von Kunst und hatte es auch nicht mit der Oper, und sein Gebiet war die Politik oder die Geschichte.
    »Wer sonst. Obwohl er am Ende mit Trotzki gebrochen hat.«
    »Na ja, es gab einen Musiker Nin, und dann ist da noch diese grauenhafte Schriftstellerin«, bemerkte ich, aber ich hielt inne. Jugendlektüre, hatte er gesagt. Etwas für mich so Reales und noch immer Nahes war in einem anderen, nicht sehr weit entfernten Land seit Jahren wie Sturmhöhe : das heißt, wie Fiktion und außerdem romantische Fiktion, gelesen von den düstersten oder zornigsten Studenten, um sich in ihren Tagträumen als Verlierer und rein und vielleicht heldenhaft zu fühlen. Sicher ist jeder Schrecken und jeder Krieg dazu bestimmt, dachte ich, durch die wiederholte Erzählung als etwas Idealisiertes und Abstraktes zu enden und im Lauf der Zeit die Phantasie junger oder erwachsener Menschen

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