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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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das Schweigen auszuhalten vermögen, die schweigen können, aber nicht, um den Gesprächspartner nervös zu machen, sondern um ihm Vertrauen einzuflößen und ihm zu zeigen, daß man bereit ist, mehr zu hören, wenn der andere mehr sagen möchte. Mit dieser empfänglichen Haltung und seinen höflich oder warmherzig spöttischen Augen lud er zum Erzählen ein. Das war es, oder vielleicht wollte ich auch mit meinen überflüssigen Erklärungen ein größeres Recht darauf erwerben, ihn dann zu fragen, welches sein Gebiet war, das heißt, »sein Bereich«, nach Wheelers Formulierung, es war Zeit, daß ich es erfuhr, und es war seltsam, daß mir der Begriff »Recht« durch den Kopf gegangen war im Zusammenhang mit etwas so Harmlosem und Normalem, alle Leute fragen die anderen, was sie im Leben tun, fast als erstes. Oder womöglich fühlte man sich bei Tupra gefordert, obwohl er den Mund nicht aufmachte, als wäre er immer der stillschweigende Gläubiger. Und so fügte ich hinzu: »Danach war ich in den Vereinigten Staaten, aber nach meiner Rückkehr habe ich die Lehrtätigkeit kaum noch ausgeübt, ich habe die verschiedensten Sachen gemacht, einige Zeit war ich bei einer sehr einflußreichen Zeitschrift, ich habe übersetzt, ein paar Geschäfte aufgezogen, ich hatte auch einen winzigen eigenen Verlag, dann wurde ich es leid und habe ihn verkauft.«
    »Mit Gewinn, hoffe ich«, unterbrach er mich lächelnd.
    »Mit großem, unverdientem Gewinn, um die Wahrheit zu sagen.« Und ich lächelte meinerseits. »Jetzt arbeite ich für Radio BBC in London, für das Programm in spanischer Sprache, Sie wissen schon, oder, na ja, auch in englisch natürlich, wenn es um spanische oder lateinamerikanische Themen geht. Ein bißchen langweilig und monoton, unsere Angelegenheiten, die in England interessieren, sind weder zahlreich noch besonders vielfältig, Terrorismus und Tourismus, eine tödliche Kombination.« Meine Zunge hatte von mir verlangt, »langweilig und monoton, immer Bube, Dame, König« zu sagen, aber ich war mir nicht sicher, was die Entsprechung dieser Redewendung im Englischen war, nicht einmal, daß es sie überhaupt gab, » King, Queen, Knave « war etwas anderes, und einen Augenblick lang verstand ich De la Garza mit seiner Sehnsucht nach der eigenen Sprache und seinem Widerstand gegen die fremde, bisweilen überkommt sie uns und letztere ermüdet uns, obwohl wir an sie gewöhnt sind und sie uns keine Schwierigkeiten macht, und bisweilen gilt die Sehnsucht den fremden Sprachen, die wir kennen und fast nie mehr benutzen können. Bube, Dame, König. Es war buchstäblich ein Augenblick, denn plötzlich vernahm ich verärgert einen seiner absurden, deplazierten, an mich gerichteten Sätze, die wer weiß welchem willkürlichen Thema angehörten, das nur er verfolgte:
    »Alle Frauen sind Huren und die schönsten die Spanierinnen«, gelangte an mein Ohr. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn ohne Zweifel bereits der Portwein überschwemmt, denn ich hatte gesehen, wie er zwei- oder dreimal kurz nacheinander mit Lord Rymer angestoßen hatte (hoch das Glas und ex, hoch das Glas und ex) in den Minuten, in denen dieser ihn als Saufkumpan in Beschlag nahm und zu meiner Erleichterung beschäftigt hielt. Lord Rymer, ich erinnerte mich sofort, war von alters her in Oxford unter einem bösen Spitznamen bekannt, the Flask , was ich mit semantischer Ungenauigkeit, aber der phonetischen Nähe sowie der Intention wegen ohne weitere Komplikationen als »die Flasche« zu übersetzen geneigt wäre.
    »Ich verstehe«, sagte Tupra freundlich nach dem kurzen Schrecken. Zum Glück kannte er nur einige wenige Worte Spanisch, wie ich später erfuhr, zu denen jedoch, wie man hätte befürchten können und wie ich ebenfalls später erfuhr, »Frauen«, »Huren«, »Spanierinnen« und »schön« gehörten, der Flegel De la Garza hatte nicht den Anstand besessen, sich bei diesem Einwurf eines dunklen Vokabulars zu bedienen. »In diesem Augenblick würde Ihnen jede andere Arbeit attraktiver erscheinen, ist es so? Obwohl die BBC objektiv gesehen nicht schlecht ist, das werden Sie sich oft sagen. Aber wenn man die Abwechslung liebt und außerdem vor der Zeit saturiert ist, was zum Teufel bedeutet einem dann die Objektivität, nicht wahr?« Tupras Stimme war gleichmäßig tief und leicht bekümmert (hier hätte meine Zunge ein Wort der Sprache verlangt, die sie sprach, ailing vielleicht) und hatte die Tonfarbe eines Saiteninstruments, ich meine, sie schien aus dem

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