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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Streichen eines Bogens über einige Saiten hervorzugehen oder diesem zu entspringen oder zu entsprechen, wenn eine Viola da Gamba oder ein Cello Sinn produzieren könnten (aber vielleicht habe ich mich schlecht ausgedrückt, und sie war eher betrübend, und ailing galt nicht mehr: nicht ihm, sondern dem, der die Stimme vernahm, gehörte das sanfte, fast angenehme, schwächende Gefühl der Betrübnis). »Sagen Sie mir, Mr. Deza, wie viele Sprachen sprechen oder verstehen Sie? Sie waren Übersetzer, haben Sie gesagt. Ich meine, abgesehen von den naheliegenden, Ihr Englisch ist ausgezeichnet, wenn ich Ihre Nationalität nicht gekannt hätte, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, daß Sie Spanier sind. Kanadier, vielleicht.«
    »Danke, ich nehme es als Kompliment.«
    »Oh, das müssen Sie, das war meine Absicht, glauben Sie mir. Und in jeder Hinsicht, außerdem. Der gebildete kanadische Akzent ist unserem am ähnlichsten, vor allem der in Britisch-Kolumbien, wie man aus dem Namen schließen kann. Sagen Sie mir, welche Sprachen Sie beherrschen.« Tupra ließ sich nicht ablenken vom Hin und Her der Gespräche, das sie erratisch und vage macht, bis die Müdigkeit oder die Stunde ihnen ein Ende setzt, er kehrte immer dorthin zurück, wo er sein wollte.
    Er hatte seinen Kaffee mit einem Schluck ausgetrunken (großer Mund, großer Mund) und die Untertasse mit der leeren Tasse sogleich nachgerade eilig auf den niedrigen Tisch vor den Sofas gestellt, als machte ihn das bereits Benutzte und jeder weiteren Funktion Entbehrende ungeduldig oder brannte ihm in den Fingern. Beim Hinunterbeugen, um sie abzustellen, hatte er einen raschen Blick auf seine Freundin Beryl geworfen, deren hautenger Rock kaum ihre Beine bedeckte, die nicht übereinandergeschlagen waren (deshalb wahrscheinlich der Blick), also konnte man von einer niedrigeren Höhe als der unseren vielleicht, wie soll ich sagen, das kleine Dreieck ihres Slips sehen, wenn sie einen trug, ich stellte fest, daß De la Garza in der richtigen Höhe auf einem Puff saß, unwahrscheinlich, daß dies reiner Zufall sein sollte. Beryl plauderte und lachte mit einem sehr dicken, trägen jungen Mann, den man mir als »Richter Hood« vorgestellt hatte und von dem ich nichts wußte, außer daß er vermutlich trotz seiner Leibesfülle und seiner Jugend Richter war, und schenkte Tupra nach wie vor wenig Aufmerksamkeit, als wäre er ein abgenutzter Ehemann, der niemals mehr für Spaß und Feiern steht und lediglich zum Haus gehört, nicht gerade wie ein Möbelstück, aber womöglich doch wie ein Porträt, das immer einen Blick besitzt und unser tägliches Tun verfolgt, obwohl man es gewöhnlich übersieht. Tupra wechselte auch einen mit Wheeler, der hartnäckig eine schon mehr als angezündete Zigarre anzündete (es war eine Lohe), ohne mit jemandem zu sprechen, solange er sich dieser Aufgabe mit einem sehr langen Streichholz widmete, die kirchliche Witwe aus York wirkte schläfrig und weniger schwellend an seiner Seite, bestimmt feierte sie so gut wie nie bis spät in die Nacht oder der Wein ließ sie schrumpfen. Ich gewahrte weder eine Geste noch ein Zeichen zwischen Wheeler und Tupra, aber die Augen des ersteren erlaubten sich einen Moment Hebung und Starrheit durch die Flammen und den Rauch hindurch, der mir wie stillschweigendes Einvernehmen und Empfehlung erschien, so als riete er ihm durch das forcierte Unterdrücken des Wimpernschlags: ›Es ist gut, aber warte nicht länger‹, und als bezöge die Botschaft sich auf mich. So wie Peter mir Tupra in seiner Eigenart beschrieben hatte, hatte er ihm etwas über mich erzählt, ich wußte nicht, was und wozu. Allerdings hatte Tupra gesagt »wenn man außerdem vor der Zeit saturiert ist«, und ich hatte ihm gegenüber nicht die Zeit erwähnt, die ich schon bei der BBC und zurück in England war – wie war es möglich, daß ich zurück war, mein Aufenthalt gehörte der fernen Vergangenheit an, die sich nicht wieder erschaffen läßt, oder hatte ihr längst angehört, und von dort kehrt man nicht zurück –, er mußte es von Wheeler wissen, es waren erst drei Monate. Ja, vor nur drei Monaten war ich noch in Madrid und hatte normalen Zugang zu meiner Wohnung oder unserer Wohnung, denn ich lebte und schlief noch immer in ihr, obwohl Luisa schon begonnen hatte, sich zu entfernen, mit erschreckender Geschwindigkeit, ein verstörendes, verwirrendes, tägliches – oder stündliches – Fortschreiten, es ist unglaublich, mit welcher

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