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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Wissensgebiet, wie exzentrisch und ornamental auch immer, hindert später seine Doktoren oder Absolventen daran, zu tun, was sie wollen, auch das genaue Gegenteil: man kann Jahre damit verbringen, Cervantes zu analysieren, und in der Finanzwelt landen, oder sich auf die Spuren der alten Perser begeben, um dies am Ende in den extravaganten Auftakt einer politischen oder diplomatischen Laufbahn zu verwandeln, sicher Tupras Fall, dachte ich erneut, und jetzt nicht mehr nur aufgrund meiner Intuition oder seiner äußeren Erscheinung, sondern wegen des Wortes »verhandeln« und des Ausdrucks »im Dienst meines Landes«. Er hatte – wenn man so sagen kann – Glück, daß im Englischen keine Vokabel existiert, die dem so unzweideutigen Wort »Vaterland« in meiner Sprache entspricht (oder sie sind sehr gesucht, rhetorisch): das von ihm benutzte, country , erfüllt seine Funktion je nach Kontext, aber es ist weniger emotional und pompös und muß fast immer als »Land« übersetzt werden. Sonst wäre ich vielleicht auf den Gedanken gekommen – das heißt, wenn er auf spanisch »Vaterland« gesagt hätte, was unmöglich war; und dennoch zog der Schatten dieses Gedankens vorbei, ohne Konturen zu gewinnen –, daß sein Geist faschistisch in analogem Sinne sein konnte, trotz der offensichtlichen Solidarität oder Sympathie, mit der er sich auf das Schicksal von Nin, Trotzkis ehemaligem Sekretär, bezogen hatte, denn in diesem umgangssprachlichen oder analogen Sinne ist das Wort mit allen Ideologien vereinbar, es hat nichts mit ihnen zu tun, nicht zwangsläufig, deshalb ist es heute so ungenau, ich habe offizielle Bannerträger der alten, scheinbar über jeden Zweifel erhabenen Linken mit durch und durch faschistischem Geist (und Stil, wenn sie schrieben) gekannt. In der von ihm ausgedrückten Idee des Dienens hatte ich eine Spur von Koketterie und eine Spur von Prahlerei bemerkt. Die Koketterie dessen, der es genießt, als geheimnisvoll zu erscheinen, und die Prahlerei dessen, der sich selbst als jemanden sieht oder auffaßt, der immer Gefälligkeiten erweist, mochten sie auch dem Vaterland gelten. Ein dritter auswärtiger Brite vielleicht, ein dritter künstlicher Engländer, dachte ich, wie Toby den Gerüchten zufolge und wie Peter eingestandenermaßen seit einigen Wochen, ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihn darüber zu befragen. Künstlich zumindest durch den Familiennamen, diesen in der Tat merkwürdigen Tupra, vielleicht nicht durch Geburt in seinem Fall, Neuankömmlinge und Träger verdächtiger Namen sind überall die patriotischsten und am ehesten bereit, Dienste zu leisten, edle oder schimpfliche, saubere oder schmutzige, sie empfinden Dankbarkeit und bieten sich an, oder es ist ihre Form, sich unverzichtbar zu fühlen für das Land, das ihnen einst entgegenkam und sie noch immer duldet, sie nur duldet, auch wenn sie ihren Namen ändern, wie der arme Anatolier Hohanness, der in Amerika zu Joe Arness wurde, oder der steinreiche Österreicher Battenberg, der sich für seine englische Existenz in Mountbatten verwandelte. Seltsam, daß Tupra seinen behalten hatte, vielleicht erschien es ihm übertrieben oder zu riskant und »seltsam, selbst den eigenen Namen wegzulassen«.
    »Hör mal, Deza«, hörte ich die Stimme von De la Garza erneut an meiner Seite, seine Runden ermüdeten ihn nicht. »Wenn du dich noch länger mit diesem Zigeuner hier abgibst, werden uns sämtliche Tussis durch die Lappen gehen. Wenn wir weiter so machen, dann schleppt uns dieser Fettwanst da noch das Langbein ab, sieh nur, wie er sie anmacht, diese Tonne. Ganz schön wüst.«
    Nicht einmal Wheeler mit seinem ganzen untadeligen Bücherspanisch hätte dieses Mal ein Wort davon verstanden. Es stimmte, daß der junge Richter Hood Beryl ins Ohr flüsterte und ihr als Belohnung schallendes Lachen entlockte, die Oberlippe der nachlässigen Freundin war schon eine Weile verschwunden; auf dem Sofa berührten sie sich unweigerlich, der Richter sehr ausladend und flottierend. Ich antwortete dem Attaché nicht, noch nicht, als existierte er nicht, er schien vergessen zu haben, mit wem das Langbein gekommen war. Dagegen spielte jetzt Tupra auf ihn an, er hatte ihn wohl aus dem Augenwinkel beobachtet wie ich, oder er erriet ihn, obwohl er unsere Sprache nicht kannte und schon gar nicht ihren Slang, immer ein wenig künstlich und eigenwillig, sein Slang, er klang artifiziell, nach Nachahmung. Sein Haar war schlaff und zerknittert, niemand in Oxford

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