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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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bösartigen Schwachkopf aufgetan? Mit politischer Zukunft, das allerdings, er hat politische und sogar diplomatische Zukunft. Wenn es darum geht und Sie darauf aus sind, ihm Subventionen für Symposien oder Veröffentlichungen oder so was zu entlocken, dann will ich nichts gesagt haben, obwohl es ungerecht ist, daß ich ihm als Dolmetscher und fast als Kuppler und Kindermädchen dienen mußte. In Spanien wird er eines Tages Minister werden oder wenigstens Botschafter in Washington, er ist genau die Art von hirnlosem, scheinbar herzlich angehauchtem Angeber, die so zahlreich in der Rechten meines Landes gedeiht und in der Linken reproduziert und imitiert wird, wenn sie regiert, als hätte sie sich angesteckt. Das mit der Linken ist nur eine Redensart, Sie wissen schon, wie überall heute. De la Garza ist eine sichere Investition, das gebe ich zu, und auf kurze Sicht wird er mit jedweder Partei Karriere machen. Nur daß er nicht sehr zufrieden gegangen ist. Ein Glück, besser als gar nichts, mir hat er das halbe Fest verdorben.« Damit hatte ich mir Luft gemacht.
    Wheeler zündete seine Zigarre mit einem seiner langen Streichhölzer an, ohne soviel Nachdruck wie zuvor. Dann hob er den Blick und ließ ihn fest auf mir ruhen mit einer Spur liebevollen Mitgefühls, ich war stehen geblieben, gegenüber der Treppe, nicht weit von ihm entfernt, in den Rahmen der Schiebetür gelehnt, die vom großen Wohnzimmer in sein Arbeitszimmer führte und die er offenzulassen pflegte (immer zwei Stehpulte sichtbar in diesem Raum, auf einem das aufgeschlagene Wörterbuch seiner Sprache, eine Lupe, auf dem anderen ein Atlas, der Blaeu manchmal oder der wunderbare Stieler, ebenfalls aufgeschlagen, und eine weitere Lupe), ich mit verschränkten Armen und den rechten Fuß ebenfalls über den linken gekreuzt, von ersterem berührte nur die Spitze senkrecht den Boden. Während die Augen seines Kollegen und Freundes und Mitmenschen Rylands von eher flüssiger Beschaffenheit und durch ihre unterschiedlichen Farben sehr auffallend gewesen waren – ein Auge hatte die Farbe von Olivenöl, das andere von blasser Asche, eines war grausam und das eines Adlers oder einer Katze, im anderen lag Redlichkeit, es war das eines Hundes oder Pferdes –, hatten die Augen Wheelers etwas Mineralisches und glichen einander völlig in Zeichnung und Größe, wie zwei fast violette, aber gesprenkelte und sehr durchsichtige Murmeln oder sogar fast malvenfarben, aber geädert und alles andere als trüb, oder womöglich fast granatfarben wie der Stein, oder sie waren Amethyste oder Morganiten oder Chalcedone, wenn sie ins Bläuliche spielten, sie änderten sich je nach dem Licht, das auf sie fiel, je nach Tag und nach Nacht, je nach Jahreszeit und Wolken und je nach dem Morgen und dem Nachmittag und je nach Laune dessen, der sie richtete, oder sie waren Granatapfelkerne, wenn sie klein wurden, diese Frucht des frühen Herbstes in meiner Kindheit. Sie müssen einmal sehr leuchtend und furchteinflößend gewesen sein, wenn sie zornig oder strafend waren, jetzt bewahrten sie Asche und einen flüchtigen Verdruß in ihrer allgemeinen Erloschenheit, sie schauten fast immer mit einer Ruhe und einer Geduld, die nicht angeboren waren, sondern erlernt, vom Willen erarbeitet im Lauf der Zeit; aber sie hatten weder ihre Malice noch ihre Ironie oder den alles erfassenden, bodenständigen Sarkasmus gemildert, zu denen sie bei allem Einverständnis jederzeit fähig waren; auch nicht die solide Erkenntnisfähigkeit dessen, der sein Leben lang mit ihnen beobachtet und verglichen und das bereits Gesehene im Neuen erkannt und verbunden und assoziiert und im visuellen Gedächtnis aufgespürt und so das noch Ausstehende oder nicht Geschehene vorausgesehen und Urteile gewagt hatte. Und wenn sie mitfühlend erschienen – und das war keineswegs selten –, dann minderte eine Art abgenutzte Einsicht oder resigniertes Hinnehmen sein spontanes Mitgefühl sogleich ein wenig, als wohnte in der Tiefe seiner Pupillen die Überzeugung, daß wir letztendlich in einem gewissen, sei es auch noch so winzigen Maß unsere eigenen Mißgeschicke in uns tragen oder sie uns schmieden und uns dazu hergeben, sie zu erleiden oder vielleicht einverstanden mit ihnen sind. ›Das Unglück erfindet man‹, zitiere ich bisweilen in Gedanken.
    »Die Linke ist immer nur eine Redensart gewesen, überall, die Linke, auf die ihr Spanier und Italiener und Franzosen und Lateinamerikaner euch noch immer bezieht, als

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