Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Befehl Moskaus hin ermordet, und es ging das Gerücht, daß sie ihn umgebracht hatte. Ob dies nun zutraf oder nicht, seitdem hatte Rosa Klebb jedenfalls langsam, aber in sehr gerader Linie, die Leiter der Macht erklommen, wobei sie Rückschläge überlebte, Kriege überlebte, sämtliche Säuberungen überlebte (da sie keine Allianzen schmiedete noch sich irgendeiner Fraktion anschloß), bis diese blutbefleckten Hände schließlich 1953, beim Tode Berias, die (vom höchsten Gipfel schon nicht mehr weit entfernte) Sprosse umklammerten, die der Chef der Operativen Abteilung von SMERSH darstellte.«
Da ich schon einmal dabei war, schrieb ich es ab. Der OGPU war mir in anderen Büchern vor Augen gekommen und war dasselbe wie der NKWD oder de facto der spätere KGB, das heißt, der sowjetische Geheimdienst. Beria war natürlich der hochberühmte Lawrentij Beria, langjähriger Kommissar für Inneres oder Chef der Geheimpolizei, bis zum Tode Stalins, sein schlauestes und erbarmungslosestes Instrument bei der Organisation von Verschwörungen, Ausschlußverfahren, Säuberungen, Abrechnungen, Zwangsrekrutierung, Repression, Erpressung, Terror- und Verleumdungskampagnen, Verhören, Folter und natürlich Spionage. Was die Abkürzung SMERSH betrifft, eine Abkürzung, die mir unbekannt war, so erklärte Fleming in einer von ihm unterzeichneten Vorbemerkung, daß »… Kontraktion von Smiert Schpionam – Tod den Spionen – existiert, und heute noch die geheimste Abteilung der sowjetischen Regierung ist. Anfang 1956, als dieses Buch geschrieben wurde, betrug die Stärke von SMERSH sowohl im Inland als auch im Ausland etwa vierzigtausend Kräfte, und General Grubozaboyschikow war ihr Leiter. Meine Beschreibung seiner äußeren Erscheinung ist korrekt. Noch heute befindet sich das Hauptquartier von SMERSH dort, wo ich es im vierten Kapitel angesiedelt habe: in der Nummer 13 der Sretenka Ulitza, in Moskau …« Ich blätterte einen Augenblick zu diesem vierten Kapitel, das unter der Überschrift »The Moguls of Death« – sagen wir: »Die Autokraten des Todes« – mit den gleichen oder ähnlichen Daten begann: »SMERSH ist die offizielle Organisation der sowjetischen Regierung für Mord. Sie operiert sowohl im Inland als auch im Ausland und beschäftigte 1955 insgesamt vierzigtausend Männer und Frauen. SMERSH ist eine Kontraktion aus Smiert Schpionam, was bedeutet ›Tod den Spionen‹. Dieser Name wird nur von ihrem Personal und unter den sowjetischen Funktionären benutzt. Keiner Privatperson, die bei Verstand ist, würde es einfallen, dieses Wort über die Lippen zu bringen …« Wenn die Passanten an der Nummer 13 der fraglichen breiten, düsteren Straße vorbeigingen, fuhr der Erzähler fort, senkten sie den Blick auf den Boden mit einem Schauer im Nacken oder wechselten auf die andere Straßenseite, bevor sie auf die ominöse Höhe des ungefälligen, häßlichen Gebäudes gelangten, wenn sie sich rechtzeitig erinnerten und dabei keine große Aufmerksamkeit erregten. Na ja, wer weiß, mir fiel auch nicht ein, wo ich nachsehen konnte, ob SMERSH wirklich existiert hatte oder ob alles – mit der Vorbemerkung an der Spitze – eine List des Romanciers war, um eine falsche Wahrhaftigkeit abzustützen oder zu bekräftigen.
Ich kehrte zu Rosa Klebb und zum siebten Kapitel zurück. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte bis zu diesem Augenblick keine einzige Zeile von Ian Fleming gelesen, wohl aber, wie fast alle, die ersten Filme der Bond-Serie gesehen. Ich glaubte mich an jene Gestalt in ihrer filmischen Version zu erinnern, eine reife Frau mit kurzem, glattem, karottenfarbenem Haar, unattraktiv und skrupellos, die zum Schluß in einer Weise, die unvergeßlich war für das Kind, das ich war, als ich wahrscheinlich in Madrid Liebesgrüße aus Moskau sah, auf Connery losging (ich mußte mich bestimmt in irgendein permissives Kino einschleichen: die franquistische Zensur war so idiotisch, daß diese Filme immer nur ab achtzehn Jahren zugelassen waren): Aus der Spitze ihres Schuhs (oder vielleicht beider) ließ sie durch einen Mechanismus zwei oder drei gewaltige waagerechte Messer hervorschießen, die mit einem raschen, tödlichen Gift imprägniert waren, schon ein Ritzer dieser Schneiden reichte, damit der Geritzte sofort und unwiderruflich den Geist aufgab, und so attackierte die Frau Bond oder Connery mit scharfen Fußtritten, während er sie mit einem Stuhl auf Distanz hielt, wie es die Dompteure im Zirkus mit ihren
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