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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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altersschwachen Löwen und Tigern tun, die der Kindereien überdrüssig sind. In dem Film, auch daran erinnerte ich mich, war in der Rolle der überaus grausamen Klebb ausnahmsweise die berühmte österreichische Sängerin und Schauspielerin (selten ihr Erscheinen auf der Leinwand) Lotte Lenya aufgetreten, die größte, authentischste Interpretin der Lieder und Opern von Bertolt Brecht und Kurt Weill (die Dreigroschenoper die bekannteste) und überdies, wenn die Erinnerung mich nicht trog, Frau und Witwe des letzteren, der weiter für sie komponiert hatte bis an sein Lebensende, das dieser filmischen Bearbeitung von Ian Fleming natürlich um einige Zeit vorausging. Dieser erschien mir, nebenbei gesagt, nach den wenigen Seiten zu urteilen, die ich in Wheelers Arbeitszimmer las, als ein besserer Schriftsteller, als geschickter und scharfsinniger, als die überhebliche Literaturgeschichte ihm bislang hat zugestehen wollen. Die anschließende Beschreibung von Rosa Klebb zum Beispiel enthielt kuriose und recht beachtliche Einfälle. Ich schrieb einige Absätze ab: »… ein Großteil ihres Erfolgs war auf die besondere Beschaffenheit ihres zweitwichtigsten Triebes, des sexuellen, zurückzuführen. Denn Rosa Klebb gehörte zweifellos zur seltensten aller Sexualtypologien. Sie war ein Neutrum … Die Geschichten der Männer und, ja, der Frauen waren zu ausführlich in ihren Schilderungen, um Zweifel an ihnen aufkommen zu lassen. Sie konnte den Akt körperlich genießen, aber das Instrument besaß keinerlei Bedeutung. Für sie war Sex nichts als Begierde. Und diese psychologische und physiologische Neutralität befreite sie augenblicklich von zahlreichen menschlichen Gefühlen, Empfindungen und Wünschen. Die sexuelle Neutralität bildet den Kern der Kälte eines Individuums. Damit geboren zu werden, war etwas Großartiges und Wunderbares. Auch der Herdeninstinkt war tot in ihr … Und was das Temperament betraf, war sie natürlich Phlegmatikerin: unerschütterlich, duldsam gegenüber dem Schmerz, träge. Ihr beherrschendes Laster war wohl die Faulheit. Am Morgen mußte es sie Mühe kosten, sich von ihrem lauen, besudelten Bett loszureißen. Ihre privaten Gepflogenheiten waren bestimmt unsauber, sogar schmutzig. Es konnte nicht angenehm sein, dachte Kronsteen, einen Blick auf die intime Seite ihres Lebens zu werfen, wenn sie sich entspannte, nicht mehr in Uniform … Rosa Klebb mochte einiges über vierzig sein, nahm er an, wobei er sich von den Daten des spanischen Krieges leiten ließ … Der Teufel mag wissen, dachte Kronsteen, wie ihre Brüste sind, aber der uniformierte Auswuchs, der auf der Tischplatte ruhte, wirkte wie ein aufs Geratewohl gefüllter Sandsack …« (›Mehlsack, Fleischsack‹, dachte ich, ›in sie werden Bajonett und Lanze gerammt.‹) »Die tricoteuses der Französischen Revolution müssen Gesichter wie das ihre gehabt haben … Und ihre Gesichter, schloß Kronsteen, vermittelten bestimmt den gleichen Eindruck von Kälte und Grausamkeit und Stärke wie diese – ja, er mußte sich das emotionale Wort gönnen – erschreckende Frau von SMERSH.«
    Fleming schien auch großes Hintergrundwissen zu haben (abgesehen von SMERSH; ich sollte Wheeler danach fragen, er würde sicher wissen, ob diese Organisation wirklich existiert hatte oder eine Erfindung war), schon die Erwähnung der POUM und von Andrés Nin deutete darauf hin, auch wenn er ihn »Andreas« nannte. Flemings Geschichte zufolge hatte ihn vielleicht eine ausländische Frau umgebracht – womöglich »von außergewöhnlicher Schönheit« in ihrer Jugend in Spanien –, überdies angeblich seine Mitarbeiterin und Geliebte, um den Verrat und die Bitterkeit noch größer zu machen. Wheeler hatte jedenfalls den Hinweis im Doppelten Tagebuch auf »mehrere Frauen«, die im Juni 37 in Barcelona festgenommen worden waren, mit der schlampigen, unheilvollen und neutralen Gestalt in Liebesgrüße aus Moskau in Verbindung gebracht (sie hätte man nie festgenommen) und den besagten Absatz im siebten Kapitel mit zwei senkrechten Strichen markiert und mit der Randbemerkung versehen: » Well well, so many traitors indeed «, das heißt, »Ja, ja, so viele Verräter, in der Tat«. Ja, so viele hatte es gegeben, in meinem Land und in jener Zeit und in anderen später und natürlich in allen davor bis hin zu den unvordenklichen, seit Anfang der Zeit selbst und überall. Wie war es möglich, daß so viel Verrat stattgefunden hatte und stattfand oder so

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