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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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hinterlassen, ihr Verleugnen oder ihr Verblassen oder ihr Vergessen zu erschweren, ihre Art zu sagen »Ich bin gewesen« oder »Ich bin noch, also ist es sicher, daß ich gewesen bin«, und zu verhindern, daß wir anderen sagen »Nein, das ist nicht gewesen, das gab es nie, das hat nie die Welt durchschritten noch einen Fuß auf die Erde gesetzt, es hat nicht existiert und ist nie geschehen«. Und jetzt, während ich weiter putze und dieser hartnäckige Blutrand zu weichen und zu verblassen beginnt, frage ich mich, ob ich, wenn ich ihn ganz entfernt haben werde und keine Spur mehr zurückbleibt, zweifeln werde, ihn gesehen zu haben, wie Comendador seinerzeit an seinen Flecken, und hier gekniet zu haben, wie eine spanische Putzfrau alter Zeiten, nur ohne dieses kleine Schaumstoffkissen, das sie sich unterlegten, um ihre Knochen nicht auf den harten Boden zu rammen, es reichte schon, daß die Armen uns die Oberschenkel von hinten zeigten, ich meine, den Kindern oder den Männern. Und wenn nicht mehr die geringste Spur existiert, dann werde ich vielleicht nicht mehr sicher sein, ob dieser Fleck nicht eine Einbildung von mir war, verursacht durch die Schlaflosigkeit und die endlose Lektüre und die zu vielen Whiskys und die widerstreitenden Stimmen und das lustlose, matte Rauschen des Flusses. Und durch die Windungen der Unterhaltung mit Wheeler.‹ Und einige Sekunden lang hatte ich Lust – oder es war nur Aberglaube –, ihn nicht für immer und ganz auszulöschen, einen Rest zu lassen, den ich am nächsten Morgen wiedersehen könnte, der den Uhren zufolge schon begonnen hatte, ein Stückchen Umkreis, eine winzige Krümmung, die mir in Erinnerung rufen würde »Ich bin noch, also ist es sicher, daß ich gewesen bin: du siehst mich, und du hast mich gesehen«. Aber ich beendete meine Arbeit, und das Holz blieb makellos zurück, niemand würde etwas von dem Blut erfahren, wenn ich schwieg und weder Wheeler noch Frau Berry etwas fragte. Und ich stieg erneut dieses Treppenstück hinunter und warf die roten oder braunen gebrauchten Wattebäusche nicht in den Abfalleimer in der Küche, sondern ging ins Badezimmer, um das Paket und das Fläschchen an ihren Platz zurückzustellen, und dort klappte ich den Deckel der Toilette hoch und leerte in sie den Aschenbecher, um sogleich zu ziehen – der Ausdruck hält sich noch, obwohl es keine Ketten mehr gibt und nichts, an dem man zieht – und auf diese Weise die letzten materiellen Zeugnisse verschwinden zu lassen.
    »Was hast du doch immer für ein Glück, du Mistkerl«, hatte ich zu Comendador gesagt. »Du läßt ein armes Mädchen liegen, das sich den Schädel angeschlagen hat und außerdem dabei ist, zu verbluten, du läßt sie zurück im Glauben, sie sei tot, oder ohne es zu wollen oder mitzubekommen, und am Ende ist sie es, die dich um Entschuldigung wegen des Schreckens bittet, den du dir geholt hast, und sich bei dir bedankt, weil du abgehauen bist, ohne ihr zu helfen. Wenn mir das passiert und ich das gleiche tue, wenn mir das widerfährt und ich mich wie du verhalte, dann wäre mein Mädchen bestimmt gestorben, und außerdem würde sich später herausstellen, daß sie hätte gerettet werden können, wenn ich nicht so viel Zeit verloren hätte. Und das würde für alle Zeit mein Gewissen belasten.« Comendador hatte mich daraufhin mit einer Mischung aus Überlegenheit und resigniertem Neid angeschaut, ich kannte diesen seinen Blick gut seit der Kindheit, später habe ich ihn oft bei vielen anderen in meinem Leben gesehen, auch wenn er nicht mir galt: Es ist der Blick von jemandem, der nicht sein möchte, wie er ist – sicher eher aus ästhetischen oder sagen wir erzählerischen als aus moralischen Gründen – und zugleich weiß, daß er gute Chancen hat, zu gewinnen und bestens dazustehen, eben weil er genauso ist, wie er ist, und nicht wie die von ihm Beneideten. »Aber du hättest nicht das gleiche getan, Jaime, du hättest dich nicht verhalten wie ich«, antwortete er mir. »Du wärst so lange geblieben, bis du sie egal wie ins Leben zurückgeholt hättest, und wenn dir das nicht gelungen wäre, hättest du sofort einen Arzt oder einen Krankenwagen gerufen, selbst mit der Ware in der Tasche und mit wer weiß was noch in der Wohnung oder im Körper des Mädchens. Selbst mit diesem ganzen Risiko. Und wenn sie dir unter den Händen weggestorben wäre, dann deshalb, weil ohnehin ihre Stunde geschlagen hätte, nicht wegen deiner Flucht oder deiner Nachlässigkeit.

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