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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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daß ihr bloßes Begehen jede mögliche Neugier für die Täter zunichte machen müßte, statt sie zu erzeugen und zu provozieren, wie es heute in so dümmlicher Weise geschieht. So war es in meinem Fall, obwohl es mein Fall war, mein Leben. Was dieser ehemalige Freund mit mir gemacht hatte, war so unentschuldbar, so unzulässig und schwerwiegend unter dem Gesichtspunkt der Freundschaft, daß seine ganze Person sofort aufhörte, mich zu interessieren: seine Gegenwart, seine Zukunft und auch seine Vergangenheit, obwohl ich zu ihr gehörte. Ich brauchte nicht mehr zu wissen, und ich war auch nicht dazu bereit.«
    Er war verstummt und hatte mich erneut unbeweglich und erwartungsvoll angeschaut, als sei ich nicht einer seiner wohlbekannten Söhne, sondern ein jüngerer Freund, ein neuer Freund, der ihn an diesem Morgen in seiner hellen, gemütlichen Madrider Wohnung besucht hatte. Und als könnte er von mir eine neue Antwort auf seine Worte erwarten.
    »Du bist besser als ich«, lautete mein Kommentar. »Oder wenn es nicht um besser oder schlechter geht, dann bist du wohl klüger und freier. Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, ich hätte versucht, mich zu rächen. Nach Francos Tod, ich weiß nicht, wenn es machbar gewesen wäre.«
    Darauf hatte mein Vater gelacht, und das hatte er wirklich väterlich getan, mehr oder weniger wie früher, wenn wir als Kinder naive oder unpassende Äußerungen vor den Besuchern von uns gaben.
    »Kann sein«, hatte er gesagt, »du neigst dazu, dich in die Dinge zu verhaken, Jacobo, du kommst nur schwer von einigen los, du bist nicht immer imstande, etwas hinter dir zu lassen. Aber das ist vor allem ein Zeichen dafür, daß du dich noch immer sehr jung fühlst. Du glaubst noch, über unbegrenzte Zeit zu verfügen, über so viel, daß du sie verschwenden kannst. Vielleicht fällt es dir nicht leicht, das zu verstehen, aber hätte ich versucht, mich zu rächen, hätte ich durch seine Schuld nur noch mehr Zeit verloren, und die Monate im Gefängnis hatten mir schon gereicht. Außerdem hätte ich ihm eine Art Rechtfertigung a posteriori gegeben, einen falschen Halt, einen anachronistischen Grund für sein Handeln. Du mußt bedenken, daß das Chronologische, wenn man das Leben als Ganzes betrachtet, an Bedeutung verliert, was vorher kam, unterscheidet sich nicht so sehr von dem, was nachher kam, nicht die Handlungen von ihren Folgen, nicht die Entscheidungen von dem, was sie auslösen. Er hätte denken können, daß ich ihm am Ende doch etwas angetan hatte, egal, wann, und hätte in größerem Einvernehmen mit sich selbst ins Grab sinken können. Und so war es nicht, so ist es nicht gewesen. Ich habe ihm nie geschadet, ich habe oder hatte ihm nie etwas getan, weder vorher noch nachher, und natürlich nicht damals. Und vielleicht war es das, was er nicht ertragen konnte, was ihn schmerzte. Es gibt Menschen, die verzeihen einem nicht, wenn man sich gut ihnen gegenüber verhält, loyal ist, sie verteidigt und unterstützt, schon gar nicht, daß man ihnen einen Gefallen tut oder aus irgendeiner Klemme hilft, das kann das endgültige Urteil für den Wohltäter sein, ich wette egal was, daß du Beispiele dafür kennst. Es ist, als fühlten sich diese Menschen gedemütigt durch das Wohlwollen und die gute Absicht oder als glaubten sie, daß man sie damit herabsetzt, oder als ertrügen sie die Vorstellung nicht, in imaginärer Schuld zu stehen oder zu Dank verpflichtet zu sein, ich weiß nicht. Natürlich würden diese Individuen auch nicht das Gegenteil wollen, Gott bewahre, sie sind extrem unsicher. Sie würden noch weniger verzeihen, daß man sich schlecht und illoyal verhält, daß man ihnen Gefälligkeiten verweigert und sie in ihrer Patsche sitzen läßt. Es gibt Menschen, die schlicht unmöglich sind, und das einzig Vernünftige ist, ihnen aus dem Weg zu gehen und sie von sich fernzuhalten, damit sie einem weder im Guten noch im Bösen nahekommen, damit sie nicht mit einem rechnen, nicht für sie zu existieren, nicht einmal, um sie zu bekämpfen. Natürlich ist das ein desideratum . Leider ist man nicht wahlweise und willentlich unsichtbar. Als ich im Gefängnis war, kam mich unsere Freundin Margarita besuchen (zwischen uns das Metallgitter), und sie war so empört über die hier und da gehörten Äußerungen meines Denunzianten, daß ihre Heftigkeit die Gefängniswärter auf den Plan rief. Sie fragten sie, über wen sie so rede, sie fürchteten wohl, es sei Franco höchstpersönlich.

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