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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Hurensöhne.‹
    »Aber was wollen Sie denn«, sagte er nach ein paar Sekunden, als sei er des Ratens müde und gebe es auf, der Ton war nicht einmal fragend.
    Es war noch immer Tupra, der ihm antwortete:
    »Daß Sie uns die Wahrheit sagen, weiter nichts. Ohne uns zu deuten. Ohne zu versuchen, uns gefällig zu sein.«
    Die Reaktion des Militärs kam augenblicklich, ich übersetzte sie präzise, obwohl es nicht ganz leicht war:
    »Die Wahrheit, die Wahrheit. Die Wahrheit ist das, was geschieht, die Wahrheit ist, wenn es passiert, wie soll ich sie Ihnen jetzt sagen. Bevor sie geschieht, kennt man sie nicht.«
    Tupra schien leicht überrascht und leicht amüsiert angesichts dieser halb philosophischen, halb stümperhaften oder bloß wirren Antwort. Aber er ging nicht ab von seiner Forderung. Allerdings lächelte er und verzichtete nicht auf seinen Zusatz:
    »Und oft nicht einmal danach. Und bisweilen passiert sie nicht einmal. Sie geschieht nicht, die Wahrheit. Und doch ist es das, was wir wollen, sehen Sie: Man verlangt Unmögliches von Ihnen, nach Ihrer Meinung. Und wenn Sie in diesem Augenblick nicht in der Lage sind, dem nachzukommen, wenn Sie sich mit Ihren Kameraden beraten wollen, um zu sehen, ob diese Unmöglichkeit Ihnen etwas möglicher wird«, er hielt kurz inne, »dann soll es daran nicht liegen. Soviel ich weiß, werden Sie noch einige Tage in London bleiben. Vor Ihrer Abreise werden wir Sie anrufen, für den Fall, daß es Ihnen gelungen ist: die Großtat, die Unmöglichkeit. Wir haben Ihre Nummer. Wenn du so freundlich bist, Mulryan, du kannst den Herrn hinausbegleiten.« Dann wandte er sich an mich, ohne den Ton zu ändern, fast ohne eine Pause zu machen. »Mr. Deza, würde es Ihnen etwas ausmachen, noch einen Augenblick zu bleiben, bitte.«
    Der falsche oder echte Militär erhob sich, strich sich die Krawatte glatt, das Jackett, die Hose, machte unnötige Anstalten, sich das Hemd wieder in selbige zu stopfen, hob eine Aktentasche vom Boden auf, die er neben seinem Sessel abgelegt und weder hochgehoben noch aufgemacht hatte. Er schüttelte Tupra und mir zerstreut, grüblerisch, abwesend die Hand (eine weiche, leicht schlaffe Hand, vielleicht nur des Grübelns wegen). Er sagte:
    »Mir scheint, ich habe Ihre Nummer nicht, die Nummer von Ihnen.«
    »Nein, ich glaube nicht«, lautete die Antwort Tupras. »Auf Wiedersehen.«
    »Mit Ihrer Erlaubnis«, murmelte Mulryan, bevor er verschwand, während er von außen mit beiden Händen die zwei Flügel der Tür dieses überhaupt nicht bürokratischen Büros schloß, es erinnerte eher an die der dons in Oxford, die ich kennengelernt hatte, an das von Wheeler selbst, an das von Cromer-Blake, an das von Clare Bayes mit seinen Regalen voller Bücher, mit einem Globus, der wirklich alt zu sein schien, überall dominierten Holz und Papier, ich sah kein unedles Material oder Metall, ich sah weder Karteikästen noch einen Computer. Mulryan murmelte es, als würde er wie ein Butler fragen: Noch etwas, gnädiger Herr?, aber es wirkte eher, als würde er Haltung annehmen (kein Zusammenschlagen der Hacken, das nicht). Es sprang ins Auge, daß er seinem Vorgesetzten ergeben war.
    Und dann, als wir allein waren, Tupra hinter seinem breiten Tisch und ich vor ihm sitzend, verlangte er zum ersten Mal etwas von mir, das dem nahekam, was später meine hauptsächliche Aufgabe war, solange ich in seinen Diensten stand, etwas, das auch mit dem zusammenhing, was Wheeler mir an jenem Sonntag in Oxford am Vormittag und während des Mittagessens mit halben Worten erklärt hatte. Tupra rieb sich mit einer Hand seine gerstenfarbenen Wangen, die immer so sauber rasiert waren und immer nach After-Shave-Lotion rochen, als würde diese an ihm haften bleiben oder er sie heimlich immer wieder neu auftragen, lächelte abermals, zog eine Zigarette heraus, die er sich zwischen die bedrohlichen Lippen steckte (sie schienen immer gleich absorbieren zu wollen), zündete sie einstweilen nicht an, ich traute mich auch nicht mit meiner.
    »Sagen Sie mir Ihre Meinung.« Und er machte eine Kopfbewegung zur zweiflügeligen Tür hin. »Was Sie gefolgert haben.« Und da ich zögerte (ich war nicht sicher, was er meinte, er hatte mich nach den Chilenen und Mexikanern nichts gefragt), fügte er hinzu: »Sagen Sie irgend etwas, was Ihnen einfällt, reden Sie.« Im allgemeinen ertrug er das Schweigen sehr gut, es sei denn, es entzog sich seinem Willen und seiner Entscheidung; dann schienen seine ständige Heftigkeit

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