Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
haben«, sagte er freundlich, er sandte noch keine Botschaft aus, zumindest keine verbale. Ich weiß nicht, ob der Attaché ihn verstand, aber das war egal, denn Tupra steckte zugleich zwei Finger in die Brusttasche seiner tadelnswerten Weste und zog ein fest gefaltetes Briefchen hervor. Mit denselben Fingern, Mittel- und Zeigefinger, reichte er es De la Garza; oder nicht, er tat keinen Schritt und streckte auch nicht den Arm aus, er zeigte es ihm nur, hielt es hoch, zwischen zwei Finger geklemmt, wie ein Erwachsener, der einen Augenblick lang einem Kind den gewonnenen Preis vorenthält, damit der undiplomatische Diplomat auf ihn zukäme, um es in Empfang zu nehmen; und Reresby forderte ihn dazu auf: »Help yourself«, fügte er hinzu, und das versteht jeder Unbegabte, der England jemals betreten hat, »Bedien dich«. »Übertreib nicht. Es muß für die ganze Nacht reichen.« Er klang noch immer zerstreut, wie jemand, der Formalitäten erledigt oder noch mit Vorbereitungen beschäftigt ist. Und obwohl das Englische es nicht erkennen läßt, verstand ich, daß er ihn duzte.
›Es stimmt also, er hat es doch bei sich‹, dachte ich ohne jede Verwunderung: es war in der Tat nichts Besonderes daran, daß ein Mann wie er ohne weiteres über ein oder zwei Gramm oder auch mehr verfügte, sie konnten sogar von der Polizei stammen, eine Beschlagnahme; und sie mußten nicht einmal für den eigenen Verbrauch bestimmt sein, ihr Besitz nur im Hinblick auf das, was er jetzt getan hatte, der Stoff als Lockmittel oder symbolische Belohnung, ihn anbieten, um etwas dafür zu bekommen. ›Comendador setzte es seinerzeit als guten Köder ein, um Tussis abzuschleppen‹, erinnerte ich mich plötzlich, ›sie stiegen zu ihm in den Wagen oder gingen mit ihm nach Hause, und im Wagen oder zu Hause legte er sie am Ende flach, oft, nicht immer, obwohl sie das anfänglich, als sie ins Auto stiegen, nicht im Sinn gehabt hatten. Das war sein Vokabular, und bei aller Verschiedenheit der beiden stimmt es zum Teil mit dem dieses Idioten überein, es war in anderen, jüngeren und subjektiveren Zeiten bisweilen auch meines gewesen und kann das gelegentlich noch immer sein – keine Sprache läßt sich vergessen, ich kann alle zurückgewinnen, die ich kenne –, wenn eine Frau sich dafür hergibt, eine Tussi zu sein oder nichts anderes sein will und nur will, daß man sie ohne vorherige Umschweife oder nachherige plötzliche Zuneigung flachlegt, oder sie einen selbst, das kommt aufs gleiche hinaus, welche Frau hat nicht eine Nacht in ihrem Leben gekannt, in der sie nur Lust hatte, die Rolle rohen und verrohten Fleisches zu spielen, Plünderin oder Beute zu sein, dieser Unterschied ist gleichgültig, selbst Luisa hat in ihrer Jugend mehr als eine erlebt, obwohl ich keine Einzelheiten kenne, und heute könnte sie es wieder probieren, so wie ich es einige Male hier getan habe, wer weiß, ob nicht Luisa, gerade heute nacht; und bestimmt war Pérez Nuix dafür zu haben, sie ist nicht in dem Alter, damit schon abzuschließen, das heißt, ihnen ein vorübergehendes oder scheinbares Ende zu setzen, denn nichts wird jemals endgültig abgehakt. Mit seinem Köder hat Tupra es fertiggebracht, daß ich diesen cunt in eine Behindertentoilette schleppe und ihn zehn oder zwölf Minuten hier ausgehalten habe, ohne zu protestieren, das ist nicht wenig. Im Augenblick hat er also erreicht, was ihm am dringendsten erschien, ihn zu neutralisieren, damit er die Dinge mit Frau Manoia nicht weiter kompliziert und damit ihr Arturo sich keine Sorgen macht und vor allem nicht wütend wird, das ist zweifellos die Hauptsache.‹ Doch jetzt bot er ihm das Briefchen an, ich fragte mich, was er noch dafür bekommen wollte, vielleicht wollte er ihn damit bestechen (er würde später zu ihm sagen: »Komm, behalt es«), damit er ganz verschwände, damit er aus dieser Toilette geradewegs auf die Straße ginge, ohne Zwischenhalt, aber das würde nicht möglich sein, er würde seine fidelen Freunde einsammeln oder ihnen Bescheid geben wollen, es sei denn, sie waren schon losgezogen, ohne auf ihn zu warten, als sie ihn so enthemmt gesehen hatten. Reresby hatte auch gesagt: »Diesen moron muß man annullieren«, was sensu strictu soviel hieß wie ihn in nichts verwandeln und etwas Ähnliches wie vernichten.
De la Garza nahm es ihm aus der Hand, das fest gefaltete Briefchen, das vielleicht noch nicht angebrochen war, es sah dick aus. Er sagte nicht einmal »thank you« , er prüfte nur
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