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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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sofort die zu erwartende Bewegung des sich Bückens, um sie zuzubinden. Er besaß wie alle großen Dummköpfe die Fähigkeit zu überraschen und natürlich von einer Sekunde zur anderen von neuem zu irritieren und mein offenes Lachen, mein inneres Lächeln, meine keimende Nachsicht und meine kleine Spur Mitleid mit einem Schlag hinwegzufegen.
    »Komm, binde du sie mir zu, ich bin noch ein bißchen zu blau, um mich hinzuhocken, jetzt könnte er verdammt noch mal endlich kommen, dein verdammter Freund mit seiner verdammten kleinen Weste und der verdammten Linie, die ihr mir versprochen habt. Und mach mir besser einen doppelten Knoten, los, für alle Fälle. Das macht dir doch nichts aus.«
    Das schlimmste war vielleicht die Schlußformel, dieses »Das macht dir doch nichts aus«. Seine kindische Art, seine Überheblichkeit brachten mich auf die Palme. Allein der Gedanke, daß ich mich auf den noch so sauberen, noch so luxuriösen Boden einer Toilette hocken könnte, um einem Riesenarschloch mit verkünstelt vulgärem Mundwerk, der mir Scherereien bereitete ohne den geringsten Gewinn, die Schnürsenkel zuzubinden (viermal »verdammt« ist zuviel in einem Satz und klingt immer falsch) …; daß er überhaupt darauf kam und darauf bestand, als wäre es ganz normal, ohne irgendwelche Probleme oder das Ungewöhnliche daran zu sehen, einfach machbar …; daß er es obendrein wie eine Laune oder fast wie einen Befehl ausdrückte, und in diesem schicken und idiotischen Lokal hatte man mir schon mehr als einen gegeben, der, der mich bezahlte und sie mir geben konnte oder auch nicht oder bis zu einem gewissen Punkt …; noch dazu, ohne behindert oder verkrüppelt oder sonst was zu sein, nur weil es ihm in diesem Augenblick stank, sich zu bücken … Es gibt Leute, die keine Grenzen kennen und immer überraschen, auch wenn man noch so gewarnt ist, unmögliche Leute. Ich weiß nicht, was ich ihm geantwortet und was ich getan oder ihm getan hätte, ich weiß es nicht, weil mir keine Zeit dafür blieb; obwohl ich, wer weiß, nach den Sekunden anfänglicher Entgeisterung vielleicht noch mehr gelacht hätte, über seine absurde Unverschämtheit. Aber mir blieb keine Zeit, weil in dem Augenblick Tupra oder an jenem Abend Reresby hereinkam. Ich glaube, als er hereinkam, hatte ich allenfalls noch einmal den einzigen, kurzen und einfachen Gedanken gedacht, der mir schon durch den Kopf gegangen war, als ich mitten auf der raschen Tanzfläche seinen geißelnden Nacken entdeckt hatte: ›Ich würde ihm eine nach der anderen kleben und nicht mehr aufhören‹, das muß ich gedacht haben, als die Tür aufging.
    Die von Tupra angekündigten sieben Minuten oder vielleicht zehn oder womöglich zwölf mußten vergangen sein, er hatte mehrere Dinge erledigen müssen, Flavia wiederherstellen und salonfähig machen, sie zu ihrem Ehemann bringen, diesem vielleicht etwas erklären, sich abermals entschuldigen, weil er sich wieder entfernen und beide allein lassen müsse, mich habe er woanders eingesetzt, vielleicht würde er ja jetzt bei dem Attaché bleiben – aber wie würden sie sich verständigen – und mich zu ihrem Tisch schicken, damit ich mich um sie kümmerte. Ich sah jedoch sofort – seine Gestalt erschien ganz, gleichsam von vorne und hinten zugleich –, daß er seinen Mantel dabei hatte, nicht angezogen, sondern über die Schultern geworfen wie ein italienischer oder spanischer Geck oder vielleicht ein vermögender Slawe, und daß er einen weiteren über dem Arm trug, es waren zwei Mäntel, sein heller und ein anderer, dunkler, mir kam der Gedanke, daß es meiner war, und so dachte ich, daß wir gehen würden, daß er auch das erledigt und sie geholt hatte, bevor er zu unserer improvisierten, absurden Verabredung in jener Behindertentoilette geeilt war, damit wir später, beim Hinausgehen, keine Zeit an der Garderobe verlieren müßten ( »Don’t linger or delay«, vielleicht war das Reresbys Devise).
    »Gehen wir?« fragte ich ihn.
    Er antwortete mir nicht sogleich, aber er wartete auch nicht zu lange damit. Ich sah, wie er etwas aus einer Anzugtasche nahm und damit die Tür blockierte, ein scharf gefaltetes Papier, einen Holzkeil, ein Stück Pappe, ich konnte auf den ersten Blick nicht erkennen, was es war, er machte es blitzschnell, als hätte er seit seiner Kindheit tausend Türen blockiert. Niemand würde diese öffnen können, solange er sie nicht freigäbe, ich sah, wie er es prüfte, indem er kräftig drückte und zog,

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