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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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gegangen, um sich zu amüsieren und zu tanzen, und kam gezeichnet wieder, bestimmt hatte Manoia das überhaupt nicht gefallen. Der Schminke konnte man nicht trauen.
    Plötzlich ertönte eine kleine mickrige Katzenmusik, wie von einem Handy, das angerufen wird, es dauerte ein wenig – es war nicht einfach –, bis ich die abgenudeltsten Klänge eines berühmten, urspanischen Pasodoble erkannte, es mußte der strapazierte Ohrwurm »Suspiros de España« sein, auf den die Schriftsteller und Cineasten meines Landes so gern zurückgreifen, um gewisse falsche, billige Emotionen zu erzeugen (die Linken, denen das Linkssein auf der Stirn geschrieben steht, schätzen ihn ebenso wie die Kryptofaschisten), unerträglich, genau diese Melodie mußte De la Garza in seiner pedantischen Spanientümelei für sein Handy gewählt haben, armer De la Garza, es war noch nicht lange her, daß ich gedacht hatte: ›Ich würde ihm eine nach der anderen kleben und nicht mehr aufhören‹, ich hatte es auf der Tanzfläche gedacht und auch später, bei der Sache mit den Schnürsenkeln, und vielleicht ein weiteres Mal, zuvor; aber das war so dahingesagt, ein bildlicher Ausdruck, in Wirklichkeit kommt es sehr selten vor, daß man wortwörtlich sagen möchte, was man sagt oder sogar, was man denkt (wenn es ein ausformulierter Gedanke ist), fast alle unsere Sätze sind in der Tat metaphorisch an sich, die Sprache ist nur Annäherung, Versuch, Umkreisen, selbst die der Dümmsten und Ungebildetsten, oder vielleicht ist gerade diese die metaphorischste, vielleicht sind nur die technische und die wissenschaftliche davon ausgenommen, und auch das nicht immer (die Geologen zum Beispiel sind sehr effektvolle Stilisten). Jetzt sah ich, wie man ihm zusetzte – nicht mit Ohrfeigen, Tupra hatte ihn noch nicht ein einziges Mal direkt mit den Händen angegriffen, nicht einmal, nachdem er sich die Handschuhe angezogen hatte, sie wurden allmählich naß, sie würden im Abfall landen –, und war sehr erschrocken und beunruhigt, nicht nur, weil ich nicht wußte, bis zu welchem Punkt er ihn verletzen würde, ob er sich vor meinen Augen ganz und gar in Sir Death oder in den Wachtmeister Tod verwandeln oder es nur bei Sir Blow belassen würde, das war nicht wenig, bei Gevatter Schlag&Stoß, oder bei Sir Wound , Gevatter Wunde oder bei Sir Trashing  – in jedem Fall war er bereits Sir Punishment , Gevatter Strafe –, es war nicht angenehm, auch nur einen davon bei einer nahestehenden Person zu entdecken, noch weniger, seinen Taten zuzusehen; sondern auch, weil die Tatsache, daß wir gewohnt sind, ständig Gewalt auf den Bildschirmen zu sehen, daß jeder Fausthieb und Fußtritt dabei wie Donner ohne Blitz oder Dynamitexplosionen oder einstürzende Gebäude klingen, uns zu dem Glauben verleitet hat, daß Gewalt etwas Verzeihliches hat, wo doch ihr Wesen niemals verzeihlich ist, sie in Wirklichkeit zu erleben, ihre Miasmen aus der Nähe wahrzunehmen, sie physisch, lebendig zu erfahren, während man danebensteht, den unmittelbaren Geruch von jemandem zu riechen, der agiert und sich anstrengt, und von jemandem, der sich kleinmacht und Angst hat, das Knirschen eines Knochens zu hören, wenn er ausgerenkt wird, und das Knacken eines zerbrochenen Wangenbeins und das Zerreißen der Haut, wenn sie aufgeschlitzt wird, abgetrennte und abgefallene Teile zu sehen und von Blut bespritzt zu werden, all das erfüllt nicht nur mit Entsetzen, sondern mit Übelkeit, macht jeden buchstäblich krank, abgesehen von den Sadisten und denjenigen, die gewohnheitsmäßig tagtäglich oder immer wieder damit leben, und natürlich von denjenigen, die sie von Berufs wegen ausüben. Ich mußte vermuten, daß Tupra zu letzteren gehörte, ich hatte ihn so entschlossen und geschickt gesehen, seine Bewegungen waren fast Routine.
    Davon hatte mir einmal mein Vater erzählt bei einem unserer Gespräche über die Vergangenheit, genauer gesagt über seine und nicht meine, die Zeit des Bürgerkriegs und der nachfolgenden Schikanen während des frühen Franquismus, des frühen, der so lange dauerte, er war ewig, denn man wußte auch nicht, wann er aufgehört hatte, und außerdem kehrte er dann und wann zurück.
    »Eure Generation und die folgenden«, hatte er in dieser zweiten Person Plural zu mir gesagt, die er oft benutzte, ihm war sehr gegenwärtig, daß wir vier Kinder waren, und wenn er mit einem sprach, war es meistens, als wandte er sich an alle, oder als vertraute er darauf, daß der

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