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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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würde ich ihn ja in Umkehr der Ereignisse am Ende gegen den wenden, gegen den ich ihn nicht wenden durfte, ich wußte nie genau, ob ich sein Vertrauen besaß, das weiß man in Wirklichkeit nie, bei niemandem. Und niemand sollte das unsere vollkommen gewinnen.
    Und so kehrte er zu der Kabine zurück, die Hände in Handschuhen, die er aus dem Mantel, aus den üblichen Taschen geholt hatte – schwarze Lederhandschuhe, normale, gute –, und ging wieder an mir vorbei mit dem Haarnetz oder der Beute in der Hand, die rechte frei, er wirkte noch immer resolut und pragmatisch und leidenschaftslos, so als wäre das, was er jeden Augenblick tat, programmiert und gehörte obendrein zu einem bereits erprobten Programm. Auch jetzt zwinkerte er mir zu, und auch das war nicht beruhigend, es war ein Zwinkern, das kein Lächeln beinhaltete, sondern bloße Ankündigung oder Vorwarnung war, die etwas von Befehl oder Anweisung hatte, dieses Mal verstand ich es als »Machen wir uns ans Werk, es wird nicht lange dauern, und dann haben wir es hinter uns«; und deshalb entfuhr mir:
    »Tupra, es reicht, laß es gut sein, was willst du jetzt machen, er ist halbtot vor Angst.« Doch in meinem Ton lag weniger Beunruhigung als in dem Moment, da ich seinen Namen gerufen hatte und nicht viel mehr, denn meine Beunruhigung war ebenfalls ungleich geringer, nachdem die Schneide von der Bildfläche verschwunden war; meine Erleichterung war in der Tat so groß, meine Angst und das Entsetzen und die Schwere hatten plötzlich so sehr nachgelassen, daß fast alles, was jetzt kommen mochte, mir leicht, willkommen, belanglos erschien. Was weiß ich, ein paar Ohrfeigen, einige Fausthiebe, sogar der eine oder andere Fußtritt (selbst auf den Mund): verglichen mit meinen eben noch vorhandenen Gewißheiten kamen sie mir fast wie ein Geschenk des Himmels vor, und um die Wahrheit zu sagen, ich sah bei mir keine große Bereitschaft, sie zu verhindern; oder nur mit der Stimme, nehme ich an. Das war es, genau: ich war dankbar, daß er ihn schlagen würde, wie ich mir vorstellte aufgrund der verhüllten Hände. Ihn nur schlagen würde. Und nicht in zwei Teile spalten oder zerfetzen oder zerstückeln, was für ein Riesenglück, was für eine Freude.
    »Es wird nur eine Minute dauern. Und erinnere dich, wer ich bin, es ist schon das dritte Mal.«
    Den Sinn des letzten Satzes verstand ich nicht, außerdem blieb mir keine Zeit, ihn zu ergründen, auch nicht dafür, über mein besorgniserregendes Gefühl von Dankbarkeit und meine anormale Empfindung von geringerer Last, wenn nicht von nahezu krimineller Erleichterung nachzudenken, denn Tupra machte sich sogleich an die Arbeit: er nahm vorsichtig das Briefchen vom Klodeckel, justierte den Falz und ließ es wieder in seiner Westentasche verschwinden – von seiner reichen Kollektion werde ich diese eine in tiefem Wassermelonengrün nicht vergessen; dann nahm er die Visakarte mit denselben zwei Fingern, verwahrte sie in De la Garzas Brieftasche, aus der sie gekommen war, und steckte sich diese in eine andere, in eine Jackettasche, zusammen mit dem zum Röhrchen gerollten Geldschein. Was von der Linie noch übrig war, Kokain oder Puder, fegte er mit einer Handbewegung fort, das Pulver flog, rieselte zu Boden, Rafita hatte es nicht einmal eingeatmet, er war nie in den Genuß dieses Stoffes gekommen, nachdem er ihn vorbereitet hatte. Danach warf Tupra ihm das Haarnetz um den Hals und zog daran, und sogleich setzte meine Erleichterung aus – ›Er wird ihn erwürgen, er wird ihn aufhängen‹, dachte ich, ›nein, das kann nicht sein, das wird er nicht tun‹ –, bevor mir klar wurde, daß nicht das seine Absicht war – er schlang es ihm nicht um, er zog es nicht fest und verknotete es nicht –, vielmehr wollte er ihn zwingen, den Kopf zu heben, der Attaché klebte nach wie vor so sehr am Deckel, daß wenig fehlte, und er hätte das Klobecken umarmt; und er hätte es getan, glaube ich, wenn er die Hände nicht lieber auf den Ohren gelassen hätte, er hatte sich entschieden, nichts zu sehen und nichts zu hören in der illusorischen Hoffnung, auf diese Weise nicht viel mitzubekommen von dem, was man ihm antat, über den Tastsinn würden der Schmerz und die Verletzung es ihm sagen.
    Als Tupra ihn genügend angehoben hatte, klappte er die beiden Klodeckel hoch und stieß ihm mit großer Heftigkeit den Kopf in die Schüssel, der Stoß war so stark, daß sich sogar seine Füße vom Boden hoben, ich sah, wie die losen

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