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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ihnen während des Krieges ergangen war, was sie an Leid erfahren oder zugefügt hatten. Und darum ging es. Sie tauschten Erfahrungen, Geschichten aus, die eine oder andere Heldentat, Mühsal, Grausamkeit. Gómez-Antigüedad beteiligte sich ein wenig, ich nicht. Und dabei erwähnte der Schriftsteller irgendwann einen mir wohlbekannten und von mir sehr geschätzten Namen, den eines ehemaligen Kommilitonen von der Universität. Er war kein enger Freund gewesen, er war ein Jahr unter mir, aber ich hatte guten Kontakt zu ihm gehabt, gelegentlich, und außerdem war er allgemein beliebt: Emilio Marés, Andalusier, sehr sympathisch, geistreich, auf charmante Weise eingebildet und bewußt frivol, er gab sich als Anarchist, aber ohne jede Feierlichkeit, selbst seine hochtrabenden Reden enthielten immer eine Spur Ironie, dazu wie aus dem Ei gepellt, piekfein, den klassischen Typ des romanhaften Anarchisten gab er natürlich nicht ab; ein sehr angenehmer Mensch, ständig gut gelaunt. Der Beginn des Krieges hatte ihn in seiner Heimat überrascht, am 18. Juli waren viele Studenten, die nicht in Madrid lebten, schon nach Hause gefahren, um den Sommer mit ihren Familien zu verbringen, er stammte aus einer Ortschaft in der Provinz Málaga oder Granada, ich bin nicht sicher, wo sein Vater Bürgermeister war, ich glaube, ein sozialistischer: aus Grazalema oder Casares oder Manilva oder so. Wir hatten mitten im Krieg erfahren, daß die Nationalen ihn in Málaga umgebracht hatten, wir nahmen an, in der Stadt, die im Februar 37 gefallen war, wozu die italienischen Schwarzhemden entscheidend beigetragen hatten, mehr als zehntausend. Wir stellten uns vor, daß man ihn ohne Umstände erschossen hatte. Dort war die Repression besonders grausam, die Rache, denn die Stadt hatte sieben Monate lang widerstanden, und die Leute hatten sich äußerst brutal aufgeführt, massenweise Erschießungen im Morgengrauen, unterschiedlose Plünderungen, Niederbrennen von Kirchen, persönliche Abrechnungen, wie am Anfang hier. Später wurde erzählt, daß die Nationalen, mit dem Herzog von Sevilla an der Spitze, nach Einnahme der Stadt die Zahl nach oben korrigierten und innerhalb der ersten Woche etwa viertausend standrechtlich erschossen. Vielleicht waren es nicht so viele, aber darauf kommt es nicht an: sie gaben Kaffee bis zum Überdruß, du weißt ja, diesen Euphemismus benutzten Franco und die Seinen, wenn sie Hinrichtungen befahlen, ›Gebt ihnen Kaffee‹, sagten sie, und die Verhafteten wurden an die Wand gestellt. In Málaga wurden sie an den Strand gebracht, viele von ihnen. Die Sache nahm so brutale Ausmaße an, daß die Italiener protestierten, sie fühlten sich von dem vergossenen Blut befleckt, das ging so weit, daß der Botschafter, Cantalupo, mit Franco sprach und persönlich dort erschien, um der Situation Einhalt zu gebieten. Irgendwo habe ich gelesen, es habe ihm die Sprache verschlagen, als er das entfesselte Treiben sah und wie sogar reiche Damen der besten Gesellschaft, allesamt gute Katholikinnen, die Gräber von Republikanern schändeten. Nun ja.« Mein Vater hielt inne und fuhr sich mit der Hand über die Stirn oder rieb sie sich fast, mit vier Fingern, als wollte er etwas von dort losreißen, vielleicht Bilder, vielleicht Erzählungen. Er war weit über achtzig Jahre alt. Aber es war eine sehr kurze Pause, und er fuhr gleich wieder fort: »Ich erinnere mich nicht genau, wie die Rede auf diese Episode kam, im ehemaligen Roma, während des Gesprächs. Dagegen hat sich mir eingeprägt, was sich auf Marés bezog. Ich glaube, einer von ihnen äußerte in beleidigtem Ton, daß sich viele Republikaner bei der Kapitulation oder ihrer Festnahme ›obendrein auch noch sehr würdevoll gaben‹, so etwas Ähnliches sagte er. Und mehr oder weniger daraufhin, auf die Erwähnung einer solchen Vermessenheit hin, fühlte sich der Schriftsteller ermuntert, von der Lektion zu erzählen, die sie einem von ihnen erteilt hatten. Er erzählte, wie sie einmal in Ronda (Ronda war viel früher gefallen als Málaga, im September oder Oktober 36) drei Gefangene in die Umgebung gebracht hatten, um sie im ersten Tageslicht zu erschießen, und ihnen, wie üblich, befohlen hatten, zu graben (üblich in beiden Lagern, und ich fürchte, in denen jedes anderen Krieges auch). Einer von ihnen, ›ein Lackaffe namens Emilio Marés‹, das waren seine Worte, ›Sohn eines roten Bürgermeisters irgendwo dort‹, weigerte sich und sagte zu seinen Henkern: ›Ihr könnt

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