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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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mußte.
    »Na ja«, sagte er. »Seit ich den Namen Marés gehört hatte, befürchtete ich das Schlimmste und war noch mehr auf der Hut. Der Verlauf, den die Unterhaltung genommen hatte, behagte mir überhaupt nicht mehr. Aber ich tat nichts, während er erzählte. Mir kam auch nicht in den Sinn, ihn zu unterbrechen. Ich fühlte Ekel und Zorn beim Zuhören, beides eher miteinander vermischt als abwechselnd. Ich wäre lieber nicht dort gewesen, hätte lieber nicht erfahren, was ein paar Leute diesem Studienfreund angetan hatten, für den ich Wertschätzung empfand. Ich wußte nur, daß er tot war, das war ausreichend, schlimm genug, aber ich war nicht so mit ihm befreundet, daß ich es nicht mit der Zeit vergessen und mich dann wieder erinnert und es dann wieder vergessen hätte. Doch mir wurde klar, daß ich es nicht bei der Hälfte dieser grauenvollen Erzählung belassen konnte, nachdem sie einmal begonnen hatte. Ich muß sehr blaß geworden sein oder sehr rot, ich weiß es nicht, ich fühlte Kälte und Hitze, auch gleichzeitig. Welche Farbe auch immer, sie konnte niemandem auffallen, sie machte mich nicht verdächtig, verriet mich nicht, denn die übrigen Anwesenden waren bleich, weiß, obwohl alle vier zum franquistischen Lager gehörten und jeder von ihnen sicher dessen Grausamkeiten erlebt oder sogar begangen hatte.« Er hielt einen Augenblick inne, schaute um sich – wir befanden uns im Wohnzimmer seiner Wohnung, am Ende des 20. Jahrhunderts oder es war schon das 21., am späten Vormittag: er orientierte sich wieder –, und fuhr fort, jetzt flüssiger: »Ich glaube, der Schriftsteller hatte sich verrechnet. Er fing an, fast stolz, angeberisch zu erzählen, aber während er dabei war und obwohl er nicht lange brauchte, muß er gemerkt haben, daß seine Geschichte nicht wirklich Anklang fand, daß sie exzessiv war, daß sie uns alle überforderte. Wenn jemand sie in der Hitze und Feindseligkeit des Krieges amüsant gefunden hatte (sozusagen), dann jetzt nicht mehr. Es war überflüssig, eine solche Episode an einem sonnigen Vormittag in Madrid, an einem Tisch mit ein paar Oliven und Gläsern voll Bier, zu erzählen. Das Schweigen, das eingetreten war, als er gesagt hatte ›Wir haben ihn als Stier behandelt‹ und den Finger gesenkt hatte wie eine Banderilla oder eine Pike oder den Degen, blieb bis zum Ende der Erzählung im Raum und dauerte danach weiter fort, unveränderlich. Und da es bald unerträglich wurde und der Schriftsteller von allen die wahrscheinlich einflußreichste Person war, brach es einer von denen, die ich zuvor nicht einmal vom Namen her kannte, der beflissenste, mit einem äußerst geschmacklosen Witz, den er nicht für sich zu behalten vermochte, oder vielleicht fiel ihm, beschränkt wie er war, nichts Besseres ein, um die Leere zu füllen und die Anekdote abzurunden: ›Und wieso hat er sich nicht alle beide und den Schwanz gegönnt? Wenn er schon mal dabei war …‹, fragte er ihn, wobei er sich auf den aus Málaga und das Ohr bezog, das dieser einkassiert hatte. Und der Schriftsteller verrechnete sich erneut, oder die eisige Atmosphäre, die seine Geschichte hinterlassen hatte, bewirkte, daß er sich, ich weiß nicht, unbehaglich, unverstanden fühlte, und das führt fast immer dazu, daß man die Situation durch irgendeinen Schachzug, mit dem man ihr beikommen will, nur noch verschlimmert, am besten, man bleibt still und stumm. Er lächelte, als sähe er den Himmel voller Geigen. Vielleicht klammerte er sich noch immer an die Vorstellung, vielleicht dachte er noch immer, daß die Wirkung seiner Geschichte die von ihm erhoffte gewesen war, nur ein wenig verzögert, eben weil die Lektion so beeindruckend war, oder er betrachtete sie als Heldentat. Er war nicht sehr intelligent, nur geschickt. Und eitel bis in die Zehenspitzen, wie gewöhnlich alle, die wissen, daß ihr Talent überschätzt wird, aus nicht legitimen Gründen oder ihrer Ellenbogen oder ihrer Beharrlichkeit wegen. Sie ertragen es nicht, in ungünstigem Licht zu erscheinen oder nicht oben zu schwimmen wie Öl, in ihnen ist alles so fragil und falsch, daß jede Lauheit oder der kleinste Vorbehalt sie aus der Fassung bringt. Und so antwortete er, auf halbem Wege zwischen Ziererei und Scherzhaftigkeit: ›Na ja, ich wollte nicht unbedingt zu dick auftragen. Aber ich werde euch nicht sagen, daß er am Ende nicht alles abgeschnitten hat. Ein Kamerad, mit dem nicht zu spaßen war. Und er trieb es noch weiter und grüßte mit

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