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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Augen, die in einem Register erschüttert das Foto eines jungen Toten mit einem Schuß im Ohr oder in der Schläfe gesehen und entdeckt haben; und hört dieselbe Stimme, die das der Schwester des Toten mitteilen mußte, oder voll Entsetzen oder Schmerz oder mit erstickter Wut schweigen mußte, als die entsprechenden Ohren in einer Straßenbahn oder einem Café unfreiwillig hörten, was sie lieber niemals gehört hätten (»Schweig, schweig und sag nichts. Hüte deine Zunge, verbirg sie, beiß darauf, schluck sie hinunter, auch wenn sie dich verbrennt, als hätte die Katze sie dir abgefressen. Schweig, und rette dich so«).
    »Ich war eines Vormittags in den Verlag von Gómez-Antigüedad gegangen«, antwortete mir diese Stimme, »ich wollte sehen, ob sie mir irgendeine Übersetzung geben konnten, obwohl ich nicht meinen Namen daruntersetzen durfte, oder irgendwelche anderen anonymen und sporadischen Aufgaben, Gutachten zu ausländischen Büchern und dergleichen. Damals führte ihn schon vor allem der Sohn, Pepito, den ich ein wenig von der Kreuzfahrt und von der Universität her kannte und der sich als einer der wenigen Sieger sehr anständig und großmütig verhielt, das weißt du ja: er hat einigen von uns Geächteten, die er schätzte, geholfen, noch dazu in den ersten Jahren, als es für uns am schwierigsten war, irgendeine Arbeit zu finden, bis 1945 war alles sehr hart und bis 1953 nur wenig besser. Wir hatten heiraten können dank des Französisch-Unterrichts eurer Mutter, dank einer kleinen Hilfe ihrer Patin, die Geld besaß und es recht und schlecht hatte zusammenhalten können, und dank der Aufträge, die mir ab und zu die Revista de Occidente gab; aber ich mußte mich nach mehr Sachen umtun, um das Leben zu fristen, unaufhörlich, denn drei Viertel von dem, was ich versuchte, blieb gewöhnlich ergebnislos. Oder mehr. Antigüedad empfing mich, der Sohn, und ich erklärte ihm meine Lage.« (›Wenn wir bitten, sind wir immer preisgegeben, verkauft‹, dachte ich, ›fast völlig der Gnade dessen ausgeliefert, der gewährt oder verweigert.‹) »Trotz unserer politischen Differenzen erschien ihm ungerecht, was man mit mir gemacht hatte, und er gab mir zwei Werke zum Übersetzen, eines aus dem Deutschen, von Schnitzler, und das andere aus dem Französischen, Hazard, ich erinnere mich noch gut. Das war damals für mich, als hätte ich in der Lotterie gewonnen. Etwas tun zu können, das bezahlt wurde, wenn auch nicht besonders gut. Man nahm, was es gab, begeistert, ich habe euch immer gesagt, daß keine Arbeit schlecht ist, solange es keine bessere gibt. Er war sehr freundlich und schlug mir vor, die Zusammenarbeit zu feiern und etwas zu trinken, im Café Roma, wie es früher hieß, in der Serrano, sein Verlag befand sich ganz in der Nähe, in der Ayala.«
    »Ich kann mich gut an das Café Roma erinnern«, sagte ich, »es bestand zumindest noch in meinem ersten Jahr an der Universität.«
    »Mag sein«, antwortete er, ohne länger dabei verweilen zu wollen. Ich dachte, es sei besser, ihn nicht noch einmal zu unterbrechen, er hatte begonnen, etwas zu erzählen, das zu erzählen ihn Mühe kostete, es war besser, wenn er es sich nicht wieder anders überlegen oder zögern würde, wie er es seinerzeit meiner Mutter gegenüber getan hatte, an dem Tag, an dem er es gehört und beschlossen hatte, es für sich zu behalten. »Wir waren kaum eingetreten, als Leute an einem Tisch ihn riefen, Bekannte oder Freunde von ihm, und uns einluden, ihnen Gesellschaft zu leisten. Ich weiß nicht, ob sie mich kannten, ich meine, ob mein Name ihnen etwas sagte, als ich ihnen vorgestellt wurde, dagegen kannte ich zwei von ihnen, die anderen beiden nicht. Einer war der fragliche Schriftsteller, noch funkelnagelneuer Falangist, und der andere ein Monarchist, einer von denen mit endloser Geduld und keinerlei Eile, das heißt, zum damaligen Zeitpunkt so franquistisch wie jeder andere. Beide schon mit ihrem jeweiligen Pöstchen. In Wirklichkeit fing der Schriftsteller gerade erst an, als solcher bekannt zu werden: er hatte ein Buch mit antiquierter Lyrik oder vielleicht schon zwei veröffentlicht, die aus naheliegenden Gründen sehr gefeiert worden waren, später gab er die Verse auf und widmete sich dem Roman, mit dem er dann Karriere machte; er schrieb auch etwas Geistloses fürs Theater sowie einen geistlosen Essay. Diese beiden schienen die anderen nach langer Zeit wieder getroffen zu haben, und damals erzählten die Leute noch, wie es

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