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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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später erneut bei der Arbeit sehen würde, also waren ihre sicheren Zweifel wohl auf der Straße zurückgeblieben, im Regen, für immer verbannt, seit sie schließlich meine Klingel gedrückt und einen meiner Namen, Jaime, ausgesprochen hatte. Auch ihr Charakter schien so etwas nicht zuzulassen: wohl das Zögern, durchaus lange – oder es war ein Abwägen oder das langsame Gewöhnen an das, was man unmittelbar vor sich sieht, oder an die getroffene Entscheidung, oder es ist die Verdichtung einer Tatsache, damit sie tatsächlich zu einer solchen wird, wenn sie schon kurz davor ist, aber noch nicht Vergangenheit oder Tatsache ist, weil sie bis dahin nicht einmal Gegenwart ist –, nicht aber den Rückzug. Sie mußte es lange überlegt haben, während sie mit ihrem Hund ging und in der Ferne meinen Rücken sah, und auch vorher, am heutigen Vormittag in unserem namenlosen Gebäude oder seit wer weiß wie vielen, womöglich auch Nachmittagen und den dazugehörigen Nächten.
    Sie lächelte gewinnend, wie so oft, auch schien meine Frage in zwei verbalen Zeiten ihr ein wenig die Last erleichtert zu haben. Ich bemerkte, wie sie kurz ihre Energie vor dem ersten Satz sammelte, wie immer, wenn sie sich an mich wandte: es war, als würde sie ihn im Geist von Anfang bis Ende konstruieren, ihn durchstrukturieren und memorieren, bevor sie ihn aussprach, und als nähme sie Schwung oder Anlauf, um nicht mehr innehalten und ihn auch nicht mehr ändern zu können, wenn sie ihn erst einmal begonnen hätte, und auf diese Weise, einmal auf dem Weg, niemals Opfer vorzeitiger Reue zu werden. Dieses Mal sah ich sie jedoch nicht von der geringsten Errötung bedroht, vielleicht war sie ebenfalls auf der Straße von ihr heimgesucht worden, allein, und hatte sie dort zurückgelassen. Ihr Lächeln drückte ein eher schüchternes Amüsiertsein aus, so als machte sie sich ein wenig über sich selbst lustig, weil sie sich genötigt sah, sich einem Kollegen gegenüber zu erklären oder zu rechtfertigen, mit dem sie jeden Tag zusammentraf und an dem Tag bereits in aller Selbstverständlichkeit am immergleichen neutralen Ort zusammengetroffen war, wo sie einander nie suchen mußten, um sich zu treffen, anders als jetzt, die junge Pérez Nuix suchte mich auf, sie brauchte mich, sie war mir durch die von der Sintflut heimgesuchte Stadt mit ihren unsichtbaren Bewohnern gefolgt. Klar war also nur, daß dieser gemeinsame Ort nicht taugte, um über das zu sprechen, worüber sie mit mir sprechen würde, vielleicht wäre er der schlimmste von allen, der am wenigsten geeignete, der nicht ratsame, zu viele Ohren und das eine oder andere empfängliche Auge. Ihr Lächeln enthielt tatsächlich eine Spur von Spott, wahrscheinlich über sich selbst; an ihr war nichts Kokettes, allenfalls der Wille, angenehm zu sein und zu beschwichtigen; es sagte: Ist gut, ich werde es dir sagen, ich sag es dir jetzt, sei nicht ungeduldig, keine Sorge, ich werde dir nicht länger die Zeit stehlen. Ich tue mich schwer, ich weiß, oder ich mache es mir schwer, aber das ist nur Teil der Inszenierung, du merkst das, du siehst es, dir ist das klar, du bist nicht dumm, nur neu.
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte sie. »Groß für mich, für dich nicht so sehr.«
    ›Aha, es geht um eine Bitte‹, dachte ich. ›Nicht um einen Vorschlag oder ein Angebot, bei ihr wäre das möglich gewesen, aber es ist nicht geschehen. Es geht nicht darum, sein Herz auszuschütten oder zu beichten, nicht einmal darum, mir etwas zu erzählen, obwohl jede Bitte irgendeine Erzählung enthält. Wenn ich sie weiterreden lasse, werde ich hineingezogen; vielleicht verwickelt, und womöglich verstricke ich mich später. So ist es immer, auch wenn ich ihr den Gefallen verweigere und mich zu nichts hergebe, immer irgendein Band. Woher weiß sie, daß für mich nicht so sehr? Das kann man nie wissen, weder sie noch ich, bevor man den Gefallen getan hat und die Zeit vergangen und die Rechnung aufgemacht oder die Zeit abgelaufen ist. Aber allein mit diesem Satz hat sie mich schon hineingezogen, sie hat mir flugs ein Gefühl der Verpflichtung oder der Schuld eingeimpft, wo ich doch keine Verpflichtungen habe und mich auch nicht erinnern kann, in ihrer Schuld zu stehen. Vielleicht sollte ich ihr einfach antworten: »Was läßt dich glauben, daß du berechtigt bist, mich um einen Gefallen zu bitten, irgendeinen, keinen. Denn du bist es nicht, wie im Grunde niemand gegenüber niemandem, wenn man es

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