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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Denken wurde oder es durchlief. Ich lerne also nicht nur das zu fürchten, was gedacht wird, den Gedanken, sondern das, was ihm vorausgeht oder vor ihm existiert und nicht Vision und nicht Bewußtsein ist. Und so seid ihr alle euer eigener Schmerz und das Fieber oder ihr könnt es sein, also … Also wer weiß, ob es eines Tages ein »ja« sein wird, irgend etwas und mit irgend jemandem, der nicht ausgeschlossen worden ist: je nach der Bedrohung oder der Hilflosigkeit oder der Unsicherheit oder der Gefälligkeit oder dem Schaden oder den Interessen oder den Offenbarungen, man macht zuweilen späte Entdeckungen, zuweilen nach einem überraschenden, langen, halblasziven Traum oder ein paar wachen schmeichelhaften Worten, oder man muß nicht einmal selbst Objekt der Leidenschaft sein, alles ist noch viel trügerischer: jemand erklärt sich schließlich und erregt unsere Aufmerksamkeit, und indem wir ihn so heftig und aufrichtig reden sehen, beginnen wir, auf den Mund zu achten, aus dem die Überlegungen oder die Argumente oder die Erzählung kommen, und ziehen in Betracht, ihn zu küssen, wer hat nicht die Sinnlichkeit der Intelligenz erfahren, sogar die Dummen sind für sie empfänglich, und nicht wenige ergeben sich ihr unverhofft, ohne sie benennen oder erkennen zu können. Und andere Male begreifen wir, daß wir nicht mehr auf den verzichten können, der uns am entbehrlichsten erschien, oder daß wir bereit sind, sämtliche Schritte zu tun, um jemanden zu erreichen, in dessen Richtung wir ein halbes Leben lang keinen einzigen getan haben, weil immer er oder sie es auf sich genommen hatten, die Entfernung zurückzulegen und deshalb tagtäglich so greifbar waren. Bis sie eines Tages plötzlich dieser Strecke überdrüssig werden oder die Verzweiflung sie übermannt oder ihre Kräfte versagen oder sie im Sterben liegen, und dann ergreift uns Panik, und wir rennen zu ihnen mit bangem Herzen und ohne Verstellung oder Zurückhaltung, plötzlich Sklaven derjenigen, die unsere waren, ohne daß wir uns je nach ihren sonstigen Wünschen gefragt hätten, oder von denen wir geglaubt hatten, daß das der einzige Wunsch war, den sie kannten oder von dem sie wußten. »Nie habt Ihr mich als das erachtet, als das ich Euch erachtet habe, und ich trachtete auch nicht danach; Ihr habt mich fern von Euch gehalten, ohne im geringsten darum besorgt zu sein, ob wir uns jemals wieder begegnen würden, und ich werfe Euch das in keiner Weise vor; aber Ihr werdet meinen Fortgang bedauern, und Ihr werdet meinen Tod bedauern, denn es gefällt und befriedigt, sich geliebt zu wissen.« Das zitiere ich bisweilen oder halte es mir vor Augen und frage mich dabei, wessen Fortgang ich unvermutet bedauern werde oder wer zu seiner Überraschung meinen Tod bedauern wird; ich zitiere ihn schlecht oder sehr frei, den Abschiedsbrief einer blinden alten Frau an einen fremdländischen, oberflächlichen, noch jungen und hübschen Mann vor mehr als zweihundert Jahren.‹
    ›Sie verwirft mich nicht, weiter nichts‹, dachte ich. ›Ihre Beine zeigen sich unbekümmert, und indem sie es tun, schließen sie mich nicht aus, weiter nichts, das ist alles, ich bin es, der es merkt und bedenkt. In Wirklichkeit ist es nichts.‹
    Und dann nutzte ich ihre Wiederholung des Satzes und das darauffolgende Schweigen, denn ihr war bewußt, daß sie sich wiederholte, und das verwirrte sie. Es war an ihr, es zu sagen, warum sie gekommen war, aber durch ihr jähes Verstummen zwang sie mich, sie daran zu erinnern:
    »Worüber mußtest du mit mir sprechen. Worüber willst du mit mir sprechen.«
    Sie hatte es nur hinausgezögert, vielleicht ist das notwendig, damit eine Transaktion, egal welche, zustande kommt, selten kann man gleich im allerersten Augenblick zur Sache kommen, ohne beleidigend zu sein oder als Mafioso oder zügelloser und verächtlicher Multimillionär zu erscheinen, und selbst die haben ihr Zeremoniell wie die alten Könige, wie ein berühmter und vergrübelter bei Shakespeare heraushob und betonte, zumindest die der alten Schule hatten es, ob sie nun Italiener waren oder nicht, die heutigen verzichten sehr viel mehr darauf, soviel ich weiß und sogar gesehen habe in London. Sie hatte es hinausgezögert, aber sie würde in keinem Fall zurückscheuen, sie würde es sich nicht anders überlegen nach so vielen Schritten, sie war bei mir aufgetaucht, unangemeldet und spät abends, obwohl sie mich ein paar Stunden zuvor in ihrer Nähe gehabt hatte und mich einige

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