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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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von Flavia verabschiedete, hatte ich die Vorahnung – oder es war Vorwissen –, daß sie, auch wenn sie noch enttäuscht oder verwirrt war wegen des Zwischenfalls und des Verschwindens des Galans, nach einer Weile, im Dunkeln, während ihr Mann und sie schweigend in ihrem jeweiligen Bett oder in ihrem Doppelbett lägen, vor allem an das denken würde, was ihr an dem Abend geschmeichelt hatte, und daß sie beruhigter und zufriedener einschlafen würde, als sie wahrscheinlich am Morgen aufgewacht war; und daher am nächsten noch immer mit dem Gedanken aufwachen könnte: ›Gestern noch, aber heute?‹ Ich hatte also zumindest in dieser einzigen Hinsicht meinen Auftrag erfüllt und ihr auf indirekte und spektakuläre Weise – die beste: wie hätte es ihr gefallen, Anlaß einer Gewalttat zu sein – zu einem weiteren Aufschub verholfen. Einer mehr bis zu dem Tag, an dem der erste Gedanke wäre: ›Gestern abend nicht mehr, und was ist dann mit heute?‹ Sie gab Tupra einen Kuß auf die Wange und mir auch einen und ging hinein, ohne auf den Uniformierten zu achten, der ihr die Tür geöffnet und aufgehalten hatte, und ohne zu warten, bis ihr Ehemann sich seinerseits verabschiedet hatte. Er würde sie deshalb nicht rügen, und sie hatte bestimmt den Wunsch, sich ihren sfregio in einem Vergrößerungsspiegel und mit besserem Licht anzusehen und still für sich rasch die angenehmsten Momente des langen Abends heraufzubeschwören, als sie noch so gut gelaunt gewesen war, mich mit gespieltem Vorwurf zu bitten: »Su, va, signor Deza, non sia così antipatico. Mi dica qualcosa di carino, qualcosa di tenero. Una parolina e sarò contenta. Anzi, mi farà felice.«
    Was Manoia betraf, so schüttelte er Reresby die Hand, und er tat es in einer Weise, die für einen so nichtssagenden, vatikanischen und sanften – aber falschen sanften – Mann nahezu überschwenglich war, und so vermutete ich, daß sie am Ende was auch immer zu ihrem gegenseitigen Nutzen vereinbart hatten oder daß der eine dem anderen abgenötigt hatte, was der andere dem einen abverlangt oder vorgeschlagen oder in Form von unausdrücklicher Erpressung aufgezwungen hatte.
    »Es war mir ein großes, großes, großes Vergnügen, Mr. Reresby«, sagte er in seinem vernuschelten Englisch: bestimmt hatte er keine andere Möglichkeit gefunden, »grandissimo« zu übersetzen. »Ein Abend mit Zwischenfällen, aber deshalb nicht weniger vergnüglich. Seien Sie so gut und halten Sie mich auf dem laufenden.« Und danach war er kalt zu mir: er übersah meine ausgestreckte Hand und beschränkte sich darauf, kurz mit dem Kopf zu nicken, wie ein Diplomat der alten Schule (und nicken ist eigentlich schon zuviel gesagt). Er schaute mich nicht einmal an, oder ich konnte seine glanzlosen, hin und her huschenden Augen nicht hinter seiner großen Brille sehen, die alles reflektierte. Er schob sie ein letztes Mal mit dem Daumen hinauf, ohne daß sie heruntergerutscht wäre, und sagte zu mir: »Buona notte.«
    Dann absolvierte er einen kurzen lächerlichen Lauf, um seine Frau einzuholen, zweifellos fiel es ihm schwer, von ihr getrennt zu sein. In diesem Augenblick kam er mir eher wie ein eifriger Beamter vor als wie ein Vergewaltiger, weniger von der Mafia oder der Camorra oder der ’Ndrangheta als vielmehr vom Opus oder von den Legionären oder vielleicht vom Sismi, was immer das auch sein mochte. Aber Flavia war von der Straße, von der Piccadilly Street aus nicht mehr zu sehen in der Hotelhalle. Bestimmt befand sie sich schon im Fahrstuhl, auf dem Weg zu ihrem Zimmer, um sich eine Weile allein im Badezimmer einzuschließen und auf diese Weise die zeugenlosen Vorwürfe ihres Mannes hinauszuzögern. Wahrscheinlich hatte sie ihn ermahnt, nicht durch die Tür mit ihr zu sprechen, und sicher gehorchte er ihr in derlei Dingen.
    Er hatte nicht einmal hinzugesetzt: »E grazie.« Er hatte wohl auch keinen Grund dazu, er wußte nichts von meinem wachsenden Zorn und meiner Beunruhigung. Es konnte sogar sein, daß er glaubte, ich hätte die Abreibung übernommen, deren Ergebnis ihn befriedigt haben mußte, als er zwecks Überprüfung die Toilette betreten hatte. Vielleicht hielt er mich nur für einen Gefolgsmann, einen Schergen, einen Helfershelfer, einen Killer. Und die Wahrheit war, daß ich mich in jenen Momenten tatsächlich wie ein Gefolgsmann und ein Scherge und auch sogar wie ein Helfershelfer fühlte: ich hatte Tupra sein Opfer dorthin gebracht, wo er es haben wollte. Nicht

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