Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
obwohl es getan werden kann. Was er schon für sich begründet hat, mit seinen eigenen oder übernommenen Gründen, die sich manchmal nach langem Überlegen oder Ränkeschmieden ergeben und andere Male sehr rasch, blitzhaft, so als befänden sich seine alles erfassenden Augen sofort auf der richtigen Höhe und wüßten mit einem einzigen Blick, was kommen wird. Mit einem einzigen, scharfgestellten Blick, ohne Umkehr. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll: er hätte mich aus Disziplin töten können, eine Sache, auf die die Welt verzichtet hat; aus Entschlossenheit, aus dem Drang heraus, praktisch zu sein, eines Planes wegen; weil er gewohnt ist, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und ich mich in ein unvorhergesehenes, sinnloses, überflüssiges, nicht eingeplantes verwandelt hatte: aus seiner Sicht ohne Daseinsberechtigung.« Aber dann hätte ich es nicht lassen können, einen letzten Zweifel auszudrücken, denn es war ein wirklicher Zweifel, und hinzugefügt: »Oder vielleicht nicht, vielleicht hätte er nicht gekonnt, trotz allem, aus einem einzigen Grund: vielleicht bin ich ihm zu sympathisch, und er ist es noch nicht leid, daß es so ist.«
Als wir aufstanden und die Mäntel holen gingen, die des Ehepaars und meinen, wollte Tupra noch einmal kurz in der Behindertentoilette vorbeischauen. Er sagte es mir nicht, aber ich sah es. Er wies mich an, mit Flavia zur Garderobe zu gehen, sie überreichten mir die Garderobemarken für die Mäntel, und ich sah, wie er und Manoia ihre Schritte dorthin lenkten, sie gingen durch die erste Tür, ich nahm an, auch durch die zweite, aber sicher wußte ich nichts mehr. Mir stand nicht der Sinn nach weiterem Erschrecken, ich fühlte nur Groll in mir aufsteigen: es war genug geschehen, und daß De la Garza nicht tot war – das wurde mir klar –, machte die Sache kaum besser. Ich hatte ihn so gesehen, mit dem Ausdruck eines Toten, von jemandem, der sich tot glaubt und sich tot weiß. Drei- oder vier-, fünfmal hätte ihm das Herz stillstehen können. ›Womöglich geht Reresby hin und tötet ihn jetzt‹, dachte ich, ohne es zu glauben, ›er trägt noch das Schwert im Rücken. Oder vielleicht will er sich nur seines Gehorsams vergewissern. Oder aber er will Manoia sein Werk zeigen, sich oder ihm die Genugtuung verschaffen. Oder es kann sein, daß letzterer gefordert hat, die Arbeit zu sehen und sie zu billigen oder nicht, mit einem »Basta così« oder einem »Non mi basta «. Oder vielleicht geht dieser Sizilianer, Neapolitaner oder Kalabrese nicht hin, um nachzuprüfen, sondern um ihm persönlich den Garaus zu machen, er selbst.‹ Sie brauchten nicht lange, sie kamen praktisch gleich wieder heraus, wir standen noch vor unseren auf dem Garderobentisch liegenden Mänteln, die Dame und ich, als sie zu uns stießen. Es mußte sich um die vierte oder dritte Möglichkeit gehandelt haben, darum, Rechenschaft abzulegen oder zu prahlen; um die zweite wohl nicht, Tupra wußte vermutlich so gut wie ich, daß De la Garza sich keinen Zoll von seinem Platz auf dem Boden fortbewegt hatte. Niemand bezahlte etwas in diesem idiotischen Lokal, zumindest ich tat es nicht, und ich sah auch nicht, daß ein anderer es tat. Reresby hatte bestimmt Kredit, oder aber er wurde immer eingeladen, oder er war ein Sozius und Teilhaber. Oder wer weiß, vielleicht hatte ja De la Garza es übernommen, hinter unserem Rücken, vor seinem letzten, unterbrochenen Tanz, um die Dame auch mit einer Geste zu erobern. Aber das paßte nicht zu ihm, und es hätte sie auch nicht für diesen Trottel eingenommen.
Wir stiegen alle vier in den Aston Martin, der für die Abende des Hofierens oder Renommierens bestimmt war, dieser gehörte zu den ersten; wir saßen etwas eng, aber schließlich wollten wir das Paar nicht in ein Taxi setzen, wir waren die Gastgeber, und außerdem war es nur eine kurze Fahrt. Wir brachten sie zu ihrem Hotel, kein Geringeres als das opulente Ritz, in der Nähe der Buchhandlung Hatchard’s in der Piccadilly Street, die ich auf den Spuren der vergangenen Berühmtheiten Byron und Wellington, Wilde und Thackeray und Shaw und Chesterton so häufig aufsuchte; und nicht weit entfernt von Heywood Hill, die ich öfter aufgesucht hatte, als ich in Oxford lebte, auch nicht von den Geschäften von Davidovich und Fox in der St. James’s Street, wo Tupra wahrscheinlich seine Rameses II kaufte und ich mich bisweilen mit meinen nicht so wertvollen Karelias-Zigaretten vom Peloponnes eindeckte.
Als ich mich
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