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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Angestellter, ein Beauftragter, ein Mitarbeiter, ein Kollege, einer, der zu seiner Partei gehört? Sag mir, was du denkst, sag es mir jetzt, sag mir irgendwas. Hab den Mut, zu sehen. Hab die Verantwortungslosigkeit, zu sehen. Man glaubt doch, etwas Derartiges zu wissen.«
    Und ich wäre zur üblichen Versuchung der Anfänge zurückgekehrt, zur Versuchung der ersten Sitzungen, bei denen man mich über berühmte oder unbekannte Leute ausfragte, die ich in einem Videofilm oder in Fleisch und Blut aus dem falschen Zugabteil heraus oder von Angesicht zu Angesicht erforscht hatte, oft fragte man mich zu spezifische Dinge über Aspekte, die auf den ersten Blick meist undurchschaubar sind und sogar auf den letzten, selbst bei den Vertrautesten, man kann sein Leben an der Seite von jemandem verbringen und ihn in seinen Armen sterben sehen und in der Stunde seines Todes noch immer nicht wissen, wozu er fähig ist und wozu nicht, und nicht einmal seiner wahren Sehnsüchte sicher sein oder darüber im Bilde, ob er sie mehr oder weniger zur Zufriedenheit verwirklicht hat oder aber sein ganzes Leben von Groll erfüllt war, was der Regel entspricht, es sei denn, es fehle einem an Sehnsüchten, doch das kommt selten vor, immer schleicht sich irgendeine bescheidene ein. (Ja, man kann überzeugt sein, aber nicht mit Sicherheit wissen.)
    Und so hätte ich antworten wollen »Ich weiß es nicht«, die vier Wörter, die nie interessierten, ja fast nicht akzeptabel waren in dem namenlosen Gebäude, in der neuen Gruppe, degradiertes Erbe der alten, das stellte ich immer mehr fest, sie trafen auf keine gute Aufnahme, sondern auf Verachtung und Leere. Nicht nur für Tupra waren sie nicht akzeptabel: sie waren es auch nicht für Pérez Nuix, Mulryan und Rendel und wahrscheinlich auch nicht für Branshaw und Jane Treves, die zwar nur sporadische Mitarbeiter waren, sie vermutlich aber nicht einmal ihren Spitzeln und Zuträgern niedersten Ranges zugestanden. Das »Vielleicht« wurde geduldet – was blieb anderes übrig –, machte jedoch einen schlechten Eindruck, es erfreute sich geringer Wertschätzung, und am Ende wurde darüber hinweggegangen, als hätte man nichts beigetragen und wäre kein Stück weitergekommen, es hatte die gleiche Wirkung wie ein unausgefüllter Stimmzettel oder eine Enthaltung, wie soll ich sagen: die Haltung, mit der es aufgenommen wurde, hatte fast nie ein verbales Korrelat, war jedoch gleichbedeutend mit einem gemurmelten: »Na toll, Mann, wie nützlich. Gehen wir also zu etwas anderem über.« Und bisweilen wurde die Stirn gerunzelt, oder das Gesicht verzog sich verärgert. In Anbetracht meiner mittlerweile angestifteten Kühnheit und meines erarbeiteten oder entwickelten Durchdringungsvermögens wäre es unwahrscheinlich gewesen, daß ich auf die letzte Frage über Reresby in seiner endlosen Nacht so geantwortet hätte: »Vielleicht. Es ist unwahrscheinlich. Es ist nicht auszuschließen. Wer weiß. Ich weiß es nicht.« Ich hätte mich also genötigt gesehen, etwas zu riskieren, und nach kurzem Überlegen schließlich mein aufrichtigstes Urteil oder meine aufrichtigste Wette von mir gegeben, das heißt das, woran ich wirklich am meisten glaubte oder, wie die Leute gerne sagen, aus tiefster Seele:
    »Ich glaube, es wäre ihm nicht leichtgefallen, es hätte ihn Mühe gekostet, es zu tun, er hätte versucht, es uns zu ersparen, das heißt, er hätte mir eine Gelegenheit oder zwei gegeben, bevor er zugeschlagen hätte, die Gelegenheit, es zu lassen. Vielleicht eine Wunde, ein Schnitt, eine Warnung oder zwei. Doch, ja, ich glaube auch, daß er mich hätte töten können, wenn er gesehen hätte, daß ich nicht lockerließ und es ernst meinte oder daß es mir durchaus gelingen könnte, ihn um die bereits beschlossene Exekution zu bringen. Er hätte auch mich töten können, wegen meiner Aufdringlichkeit, meiner Hartnäckigkeit. Es war nur so, daß er, wie man gesehen hat, diese Exekution noch nicht beschlossen hatte.«
    »Willst du damit sagen, du hättest ihn aus der Fassung gebracht, du hättest ihn die Kontrolle verlieren lassen, ihm wäre die Hand in einem Anfall von Ungeduld, Hochmut, Zorn so sehr ausgerutscht?« hätte Tupra vielleicht herausfinden wollen, womöglich gekränkt von einer solchen Möglichkeit.
    »Nein, das ist es nicht«, hätte ich eingeräumt. »Es wäre aus dem Grund gewesen, den ich vorher genannt habe, weil er sehr schlecht erträgt, daß nicht getan wird, was in seinen Augen richtig ist,

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