Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
vergewaltigen, fürchtet eine Messerspitze auf ihrer Brust oder an ihrem Hals und stellt sich darauf ein; der Mann, in dessen Wohnung Diebe einbrechen, ist darauf gefaßt, an seiner Schläfe oder seinem Nacken den Lauf einer Pistole zu fühlen, das ist das normale und vorhersehbare, und er stellt sich sozusagen darauf ein. Sich darauf einzustellen ist nicht viel, aber es ist besser als nichts, denn schon denkt man ungewollt an die Möglichkeiten, dem zu entkommen oder den Schaden zu begrenzen, auch wenn sie angesichts der Umstände ins Reich der Phantasie gehören; aber man hat ein Stück Terrain gewonnen, und vor allem ist man nicht so erschrocken und nicht so überrascht, oder nur insofern, als man selbst es ist, der sich in einer solchen Bedrängnis sieht, wo man doch immer geglaubt hat, daß einem das nicht passieren würde oder daß man gar nicht an der Lotterie teilnahm, der Optimismus der Leute ist grenzenlos, solange sie angesichts jedes fremden Unglücks, auch wenn es nahe ist, nach allen Beileidsbekundungen und Klagen für sich hinzufügen können: Ja, aber ich bin es nicht, es hat nicht mich getroffen. Jetzt gibt es Banden, du wirst es in der Presse gelesen haben, die meisten bestehen aus Leuten aus dem Osten, Albaner, Russen, Ukrainer, Kosovaren, Polen, die mit Maschinenpistolen und auf die brutale Tour in Wohnungen einbrechen, sie treten die Tür ein und stoßen ihre Bewohner zu Boden und versetzen ihnen als erstes ein paar Kolbenhiebe, alles sehr viel barbarischer; und manchmal übertreiben sie und töten. Das sind Vorgehensweisen des alten KGB oder des noch älteren NKWD, die sich ihrerseits beide nicht von denen der Gestapo unterschieden.« ›Weil ihnen die Machenschaften von Orlow und dessen Jungs vom NKWD unbekannt waren‹, mir kam dieses Zitat in den Sinn, das ich zu Hause bei Wheeler, während meiner langen nächtlichen Studien über das mysteriöse Verschwinden von Nin, gelesen hatte. »Das macht schon größere Angst, ich meine, es macht eine, die eher unerwartet ist, man wird sofort erfassen, daß diese Gewalt unverhältnismäßig ist, um eine normale, friedliche Familie zu bezwingen und auszurauben, die keinen Widerstand leisten wird; und dann wird man jede weitere mögliche Unverhältnismäßigkeit fürchten. Ich glaube, in Spanien machen sie es genauso, außer diesen undankbaren Slawen die Kolumbianer und die Peruaner, hier gibt es noch nicht allzu viele davon, eure Sprache kommt ihnen zugute, sie verlockt sie, in deinem Land haben sie das Problem gelöst, warum sollten sie sich fortrühren. Das bewahrt uns weitgehend vor ihnen, vorläufig. Zu uns kommen Araber und Chinesen, Rastas und Pakistanis, das ist eine andere Geschichte. Doch die Angst, die eine Maschinenpistole einflößt, ist trotz allem nicht wirklich furchtbar oder was ich furchtbar nenne, das heißt, eine Angst, die vernichtet und alles ergreift, ohne Raum dafür zu lassen, sich mit etwas anderem als der Angst selbst zu befassen, die einen völlig durchdringt. Denn es ist kompliziert, diese Waffe zu benutzen. Sie werden es nicht tun, wenn sie es sich ersparen können. Sie ist laut und spektakulär, sie vibriert, und ihr Rückstoß erschüttert und ermüdet, weil er so heftig ist, und sie läßt sich auch nicht leicht verstecken, wenn man fliehen muß. Sie dient letzten Endes eher der Einschüchterung als dem wirklichen Gebrauch, und das weiß das Opfer oder ahnt es von Anfang an, und so tröstet und faßt es sich im Gedanken daran, daß die Angreifer nur dann mit ihr schießen werden, wenn die Dinge eine schlechte Wendung für sie nehmen.« Tupra machte abermals eine Pause, dieses Mal sehr kurz, als wollte er nur einen neuen Absatz beginnen, nicht ein neues Kapitel. »Ein Schwert dagegen«, fügte er ziemlich rasch hinzu. »Lach nur, mach dich lustig über seine Extravaganz, seinen Anachronismus, sogar über seinen Rost. Du hast dein Gesicht nicht gesehen, als du es in meinen Händen entdeckt hast. Du hast das des Makaken gesehen, das sollte dir genügen.« Na ja, in Wahrheit hatte er monkey gesagt, schlicht Affe, es wäre unmöglich, aus einem englischen Mund macaque als Schimpfwort zu hören. »Es ist sicher die Waffe, die die größte Angst einflößt, gerade weil sie unstimmig ist in diesen Zeiten, in denen fast niemand aus der Nähe kämpft oder nur in Form von kuriosen Sportarten. Man wirft Bomben und Geschosse aus unvorstellbaren Entfernungen ab, es ist, als würden sie von allein vom Himmel fallen, glaub mir, oft sieht
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