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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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man nicht mal Flugzeuge und hört sie auch nicht, oder sie haben keinen Piloten, oder so kommt es den Bevölkerungen unten vor. Man erleidet schreckliche Verheerungen, aber man sieht nur noch selten denjenigen, der sie verursacht, das ist die Tendenz seit Erfindung der Armbrust, die Richard Löwenherz und andere als unehrenhaft ansahen, weil sie zu sehr im Vorteil und nur mit geringem Risiko für den Schützen verbunden war, sehr viel mehr als der Bogen, denn der erforderte zumindest ein höheres Maß an Geschicklichkeit und Anstrengung und nutzte keinen Mechanismus und traf sozusagen wie der Arm eines Mannes, niemals weiter oder rascher oder genauer. Alles läuft auf das Verbergen desjenigen hinaus, der tötet, auf seine Anonymität, seit Jahrhunderten, und alles auf die Unehrenhaftigkeit; und das bewirkt, daß ein Schwert es ernster zu meinen scheint als jede andere Waffe.« »In earnest«, hatte er gesagt. »Es scheint unmöglich, umsonst zu einem Schwert zu greifen, ich weiß nicht, ob dir das klar ist: es scheint unmöglich, etwas anderes zu tun, als es zu gebrauchen, und zwar auf der Stelle.«
    Es stimmte, daß ich mir Gedanken über das Schwert gemacht hatte, als ich es bereits in seiner Hand sah – oder vielleicht war es später, als ich endlich wirklich nach Hause kam (nicht in dem Augenblick, nicht bei jener Fahrt oder jenem Halt) und es mir so schwerfiel, einzuschlafen (also konnte es sein, daß er sie für mich formuliert, sie im Wagen ausgeführt hatte und daß meine Gedanken nur ein Echo seiner Worte waren) –, und sie hatten folgendermaßen gelautet: ›Wo kommt es her, eine primitive Schneide, ein mittelalterliches Heft, ein homerischer Griff, eine archaische Spitze, die unnützeste oder unzeitgemäßeste aller Stichwaffen, mehr noch als ein Pfeil oder eine Lanze, ein Anachronismus, eine Absurdität, eine Extravaganz, in einer Weise disparat, daß der bloße Anblick Panik verursacht, nicht bodenlose, sondern atavistische Angst, so als würde man augenblicklich die Erkenntnis zurückgewinnen, daß es das Schwert ist, das im Verlauf fast aller Jahrhunderte am meisten getötet hat, aus der Nähe und im Angesicht des Toten.‹
    Tupra hatte auf Homer angespielt, und jetzt sprach er vom zweiten König Plantagenet und dem ersten der Richards, geboren an keinem anderen Ort als Oxford, wenn auch sehr bezweifelbar ist, ob er die englische Sprache beherrschte oder auch nur radebrechte, er verbrachte im Lauf seiner zehnjährigen Herrschaft alles in allem nicht mehr als ein paar Monate im Land dieser Sprache, denn die übrige Zeit war er voll und ganz beschäftigt mit dem Dritten Kreuzzug oder seinen Familienkriegen in Frankreich, wo er bei der Belagerung von Châlus im Jahre 1199 den Tod fand, ausgerechnet durch einen Armbrustpfeil – wie zum Hohn –, das rief ich mir später anhand einiger Bücher in Erinnerung: ein weiterer britischer Ausländer, noch ein künstlicher Engländer und auch einer mit Decknamen: nicht nur der allseits bekannte Cœur de Lion, sondern auch Yea and Nay, alte Formen für »Ja und Nein«, ein Name, der verständlicherweise eher übergangen wird, denn Richard Ja und Nein klingt leicht spaßhaft, obwohl er so genannt wurde aufgrund seiner sich plötzlich und ständig ändernden Ansichten und Pläne, selbst inmitten der Schlachten (er muß unerträglich gewesen sein, dieser rasende Monarch). Es war unvermeidlich, daß diese gebildeten Verweise Tupras mich ein wenig überraschten, in den sonstigen Gesprächen mit ihm gab es gewöhnlich keine, weder historische noch literarische, obwohl das vielleicht darauf zurückzuführen war, daß wir sie normalerweise nicht brauchten: wir sprachen über andere Personen, fast alle waren gegenwärtig, und keine war fiktiv, wenn auch in ihrer Mehrheit unbekannt für mich. Vielleicht kam es daher, daß er die ganze Geschichte der Waffen gut kannte, aus beruflichen Gründen. Oder daß er schließlich und endlich Student in Oxford gewesen war und Schüler von Toby Rylands, dem erlauchten, emeritierten Professor für englische Sprache und Literatur, mit mehr Bildung, als er nach außen erkennen ließ. Aber ich hatte immer Zweifel, ob Rylands seine Funktion als Mentor nicht mehr in der namenlosen Gruppe ausgeübt hatte, die er in praktischer Hinsicht unterwies, als in der renommierten Universität, der wir alle angehört hatten. Sogar ich selbst während zweier längst ferner Jahre, von denen kaum eine Spur blieb, so wie ich es schon damals mit

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