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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Sicherheit vorausgesehen hatte, als ich noch dort lebte und mir bewußt war, daß ich mich dort nur vorübergehend aufhielt und keine Spur von mir bleiben würde. Jetzt, in der anderen Zeit in London, dachte ich es bisweilen wieder und stärker noch, obwohl mir nie sehr klar war, ob ich zurückkehren würde oder wohin ich gehen sollte, wenn ich fortginge: ›Wenn ich dieses Land verlasse, wenn ich nach Spanien zurückkehre, dann wird mein Leben dieser wirklichen Tage – und einige vergehen langsam – ein »Ja und Nein« sein oder wie ein Traum ohne Bedeutung, und nichts von alldem wird irgendwelche haben, weder die schwerwiegendsten Ereignisse noch diese Versuchung oder diese Panik, weder diese Widerwärtigkeit oder diese Gewalt, die ich selbst verursache, noch das Blei auf meiner Seele. Und vorher wird ein Tag gekommen sein, an dem ich diesen Tagen ein Lebewohl gesagt haben werde, das vielleicht dem schriftlichen Abschied von Cervantes gleichen wird, an den ich Wheeler erinnern wollte, ohne es ganz zu wagen, in seinem Garten am Fluß. Mit etwas weniger Fröhlichkeit ohne Zweifel, aber mit größerer Erleichterung. Zum Beispiel: »Leb wohl, Lachen, und lebt wohl, Kränkungen. Ich werde euch nicht mehr sehen, und auch ihr werdet mich nicht mehr sehen. Und leb wohl, Glut, lebt wohl, Erinnerungen.«‹

W as hast du in Oxford studiert, Bertram?« fragte ich ihn plötzlich, obwohl das sicher nicht der passende Moment war, mich dafür zu interessieren, vor allem, da es so viele andere gegeben hatte (und geben würde) bei unseren Sitzungen und Zwiegesprächen und Pausen des Zögerns oder Abwägens und toten Zeiten. Ich wußte es wirklich nicht, denn ich hatte es nie zuvor getan, mich so weit zu interessieren, daß ich ihn gefragt hätte, und dabei ist es eines der ersten Themen, auf die man in England zurückgreift, um zwischen Unbekannten und sogar zwischen Kollegen das Eis zu brechen. So war es, wenn ich in Oxford außerhalb der Lehr- oder Verwaltungstätigkeiten mit irgendeinem don zusammentraf, während ich zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden oder zwischen Vorlesung und Seminar im Senior Common Room der Tayloriana einen Kaffee trank; oder auch bei den höllischen high tables oder hohen Tischen der neununddreißig colleges (erhöhte und außerdem ewige Abendessen), bei denen man mehrere Stunden lang reglos neben einem jungen Ökonomen zu sitzen kommen konnte, der nur fähig war, einem von einer merkwürdigen englischen Steuer auf Apfelwein zu erzählen, die zwischen 1760 und 1767 gültig gewesen war und über die er seine Doktorarbeit geschrieben hatte (das ist ein wahres Beispiel aus meiner alten Erfahrung, Halliwell hieß dieses Fest von einem Mann), und das nur, weil ich höflich den einleitenden und zugleich verdammenden Satz geäußert hatte: »What is your field?«, wörtlich »Welches ist Ihr Feld?« und in Wirklichkeit »Was ist Ihre Spezialität?« oder »Womit befassen Sie sich?«, oder dort konnte es auch sein »Was lehren Sie?«. Jede Variante war unpassend, um Tupra inmitten eines Diskurses über das Schwert zu unterbrechen.
    Wenn ich mich sogar noch an jenen Halliwell erinnere, fettleibig und rothaarig und mit einem kleinen militärischen, aber schütteren Schnurrbart, wie sollte ich mich da nicht an all die anderen jener Zeit erinnern, an den alten Pförtner Will mit den reinen, hellen Augen, der durch die Zeiten wanderte, und an Alec Dewar den Schlächter, den Schlitzer, den Inquisitor oder den Hammer – the Butcher, the Ripper, the Inquisitor oder the Hammer  –, selbstloser dickensscher Professor hinter seinem wilden Aussehen und seinen ungerechten Spitznamen; an den trunkenen Lord Rymer, der jetzt wieder aufgetaucht war, noch dazu mit seinem gerechten Beinamen – the Flask , die Flasche –, und den klatschsüchtigen Slawisten Rook, ein Mann mit großem Kopf und zartem Körper – ein Großkopf, kurz gesagt –, der mit seiner Freundschaft zu Nabokov prahlte und seit tausend Jahren Anna Karenina übersetzte, wie es sich gehörte, ohne sichtliche Ergebnisse; an das Ehepaar Alabaster, das mich mit angehaltenem Atem über die Video-Anlage ihrer antiquarischen Buchhandlung überwachte, wenn ich in ihr Untergeschoß hinunterstieg, um im Staub zu stöbern, und an den Leiter meiner Abteilung Aidan Kavanagh, den ich einmal mit Weste gesehen hatte, wie meinen Chef Tupra immer, nur daß er kein Hemd darunter trug oder ein merkwürdiges ohne Ärmel; an das dicke Mädchen namens Muriel –

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