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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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aber am Ende war sie nicht dick –, mit der ich eine Nacht und basta verbracht hatte und die mir erzählte, sie lebe zwischen den Flüssen Evenlode und Windrush, in der Nähe einer Gegend, die einmal ein Wald gewesen war, Wychwood Forest; an die Blumenverkäuferin, die Zigeunerin Jane mit ihren hohen Stiefeln, und an Alan Marriott mit seinem artigen dreibeinigen Hund, der mich mit seinem Besitzer eines Vormittags besucht hatte, so wie viele Jahre später der weiße Pointer von Pérez Nuix mit der seinen, an einem späten Abend; an meinen besten Freund Cromer-Blake, mein Führer in der Stadt und derjenige, der bei mir die väterliche und die mütterliche Gestalt vertreten hatte, abwechselnd gesund und krank während meines Aufenthalts und vier Monate nach meinem Fortgang gestorben (ich bewahre noch immer seine Tagebücher), und an die Autorität Toby Rylands, Wheeler so ähnlich, aber noch ohne die Verwandtschaft, der mich vielleicht schon durch einen damals verfaßten und für alle Fälle archivierten Bericht in diese Sache verwickelt hatte; an die junge Frau mit den rhythmischen, gut beschuhten Füßen und den vollkommenen Fesseln, zu der ich nicht mit dem Aufruhr der Gefühle zu sprechen gewagt hatte, der mich während einer späten Fahrt von der Station Didcot aus in ihrer Gegenwart erfaßt hatte, und an Clare Bayes, meine Geliebte. Alle diese Menschen waren noch vor Luisa, die ich erst nach meiner Rückkehr kennengelernt hatte, in meinen Tagen gewesen. Auch wenn ich dort in Oxford keine Spur hinterlassen hatte, so war doch die Spur jener Zeit in mir geblieben. So wie wahrscheinlich die Spur dieser anderen Zeit meiner Londoner Einsamkeit bleiben wird, so sehr sie mir auch eines Tages wie ein nicht gelebter, folgenloser Tagtraum erscheinen wird und ich über all das jeden Morgen die veränderten Verse Miltons sagen könnte: »Ich erwachte, diese Zeit löste sich auf, und der Tag gab mir meinen Tag zurück.«
    Nein, es stimmte nicht ganz, daß das, was jetzt geschah, nicht zählte, jetzt, da ich in einem fremden Land in einem namenlosen Gebäude arbeitete, ohne zu wissen für wen oder nur manchmal, wie mir die junge Pérez Nuix bei mir zu Hause erklärt hatte. Und während ich Tupra im Wagen diese Frage stellte, was er in Oxford studiert hatte, warf ich einen Blick nach oben, auf mein erleuchtetes Fenster, hinter das ich mich allmählich zu sehnen begann: genauso mußte es ausgesehen haben, als sie auf der Straße gezögert hatte, ob sie bei mir klingeln sollte oder nicht, und auch später, als sie drinnen war in der Nacht des anhaltenden, starken, in sich ruhenden Regens, und redete und sogar dozierte und mich um den unguten Gefallen bat, den ich ihr am Ende gewährte, wenige Tage später, und der mir jetzt das Gefühl gab, unausgesprochen in Tupras Schuld zu stehen – oder es war eine geheime, qualvolle Schuld –, und mich in meinem Ärger oder fast Zorn bremste, ich konnte nicht akzeptieren, was Reresby getan und nicht getan hatte – was ich geglaubt hatte, daß er tun würde – in jener glänzenden Toilette für die Krüppel, das war sein Ausdruck, in der er vielleicht einen weiteren zurückgelassen hatte, wer konnte das wissen, und beinahe einen Leichnam vor meinen Augen, einen Enthaupteten in meiner Gegenwart.
    »Mein Fach war Geschichte des Mittelalters, im Rahmen von Geschichte der Neuzeit«, antwortete er mir mit dem üblichen Ausdruck: »I read medieval history.« »Aber ich habe mich nie damit befaßt, ich meine beruflich. Warum fragst du?«
    Mir blieb Zeit, um zu denken, wenn auch nicht so ausformuliert, wie es jetzt hier steht: ›Schade, daß ich es nicht gewußt habe. Statt ihn zu verprügeln, hätte er sich mit De la Garza, dem großen Kenner der schicken phantastischen mittelalterlichen Literatur, gut vertragen und sogar ergänzen können. Er hätte ihm wenigstens etwas mehr Schonung gegönnt.‹
    »Ach, dann ist es also eine Sehnsucht, das mit dem Schwert. Eine Jugendphantasie, das kann sein«, sagte ich statt dessen.
    Meine Ironie gefiel ihm grundsätzlich nicht, er verzog das Gesicht, und ich hörte ein ungeduldiges Schnalzen, die Zunge gegen die Zähne: nach meinem dreifachen Fehler mit seinem Namen sprach er mir wohl nicht das Recht zu, ihm mit Vorwürfen oder Spott zu kommen.
    »Kann sein, diese Geschichte hat mir immer gefallen, genauso wie die Militärgeschichte, die ich später studiert habe«, antwortete er ruhig, schließlich und endlich war er jemand, der fähig war, den Witz

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