Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
nicht Teil des Gesprächs und dieses außerdem insgesamt kaum hörbar war, als Manoia sich an mich wandte ( »Come si dice, bazza?« oder eher »Gome si disce?« , das c verwandelte sein unentrinnbarer Akzent in sch ), hatte ich nicht die geringste Ahnung, worüber sie sprachen: ich wußte nicht, ob er noch immer irgendeinen Auftragskiller oder Prälaten beschrieb – angenehmer Anblick, wer immer es wäre, eine schöne Gestalt mit Schmarren an den Wangen und einer elephantösen Kinnlade –, oder ob er Fortuna anrief für ihre gemeinsamen Pläne oder ob er nur Reresby davon zu überzeugen suchte, daß der Preis seiner Dienstleistung oder seines Paktes ein wahrhaft gutes Geschäft sei. Wenn sein bazza sich auf letzteres bezog und ich es diskret als »spitzes Kinn« übersetzte, lief ich gleichwohl Gefahr, daß Manoia glauben könnte, ich würde, ohne daß es zur Sache gehörte, spöttisch auf seinen auffallendsten Gesichtszug anspielen, und mir war vom ersten Augenblick an klar gewesen, daß die Größe seines Unterkiefers eine Rolle bei der Formung seines Charakters gespielt haben mußte, von dem man mindestens sagen konnte, daß er mißtrauisch war und rachsüchtig nicht höchstens, denn man erahnte bei ihm noch schlimmere Potentialitäten. Wenn die Sache umgekehrt war, dann würde meine Übersetzung jedes Sinnes entbehren, ihn jedoch nicht beleidigen, es sei denn, er würde mein Vermeiden des richtigen Wortes auf die Präsenz dieses Kinns am Tisch zurückführen, das schließlich keinesfalls als prognathisch gelten konnte, nicht einmal unter den wechselnden bunten Lichtern, die es verzerrten und ihn ein wenig Fagin, der Gestalt von Dickens, gleichen ließen. Vielleicht trieb ich es zu weit mit meiner Rücksichtnahme, zweifelte zu viel, und das veranlaßte ihn, erneut ungeduldig zu werden und das heftiger als zuvor:
»Ma gosa suscede, eh. Non gabisci bene l’idaliano?« Er hatte mich von Anfang an geduzt, ohne eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen, und mich schlicht Jack genannt, dem Gebrauch Tupras folgend, als sei er mit mir ebenso vertraut wie jener oder hätte dieses Vertrauen auf der Stelle geerbt (Vorrechte der Ebenbürtigen oder derer, die befehlen). Jetzt lag etwas von unterschwelliger Vergeltung in seinem Ton, ich meine, er klang nach einer der Forderungen, die man nicht straflos unerfüllt läßt. »Bazza, bazza, gome se disce in inglese bazza, eh? Non lo sai?«
Also entschloß ich mich unverzüglich für bargain , im Rahmen der Möglichkeiten erschien es mir passender, daß bei einem Gespräch über Politik oder Finanzen oder Pfründe oder sogar Ablässe von Kosten gesprochen wurde.
»A bargain«, sagte ich. Und fügte für alle Fälle das mit dem Glück hinzu: »Or a stroke of luck.«
Doch die zweite gereizte Reaktion des Mannes hatte mir überhaupt nicht gefallen. Nicht, daß ich mich beleidigt oder mißhandelt fühlte. Oder doch, aber das war egal, ich war nicht, was ich war ( ›I am not what I am‹ , zitierte ich bisweilen für mich; ›nicht ganz‹, sagte ich mir, ›nicht genau‹), wenn ich mit Reresby oder mit Ure oder Dundas ausging, nicht einmal dann, wenn ich Tupra begleitete, allein oder mit den anderen; in gewissem Sinne spielte ich die Rolle eines Untergeordneten oder Untergebenen – was ich durch die Umstände im Grunde war, solange ich mich nicht von meinen bezahlten Tätigkeiten trennte und meinen unbenannten Posten behielt – oder eines Leibwächters oder treuen Schattens – was ich in keiner Weise jemals war –, und daher nahm ich die Herabsetzungen, die diese Gestalt gelegentlich erleiden mochte, nicht persönlich, denn ich erlitt sie – wie soll ich sagen – im Namen der ganzen Gruppe und als bloßer Teil von ihr, als der hergelaufenste und zuletzt gekommene und unbedeutendste; und die ganze Gruppe erschien mir ihrerseits als fiktiv oder mit Fiktionen beschäftigt, vielleicht ist das genauer. Und der Umstand, daß fast alles in einer fremden Sprache vor sich ging, verstärkte den artifiziellen, irrealen, fingierten Charakter der Worte und Taten: in einer anderen Sprache hat man unvermeidlich das vage Gefühl, ständig zu schauspielern oder sogar zu übersetzen (egal wie gut man sie beherrscht), so als würden die Worte, die man ausspricht und hört, einem Abwesenden gehören, alle einem einzigen Autor, der sie erfindet und diktiert und längst verteilt hätte, und dann trifft am Ende nichts von dem, was einem gesagt wird. Wieviel schwieriger ist es
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