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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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verzeichnet sind, die sich gewisse öffentliche Verdienste erworben haben, wie Sir Peter Wheeler in dem des Vereinigten Königreichs, und es keinen Grund für die Annahme gab, diese Personen könnten etwas anderes sein als obskure Privatmenschen, wie Tupra oder wie ich selbst; aber wer konnte das wissen. (Es war eher wahrscheinlich, daß sie in der alten Kartei des namenlosen Gebäudes standen; vielleicht auch Manoia mit seiner Frau und allem.)
    Meine Unruhe wuchs: wegen De la Garza, der sich im verbalen Sturmangriff auf Flavia befand (ich vertraute darauf, daß er sich nicht zum taktilen oder digitalen verstieg), oder wegen Flavia, die ohne jedes Schutzschild war gegen die Pfeile, die dieser ordinäre und zugleich manirierte Einfaltspinsel ihr ins Gesicht schleudern mochte: im Augenblick lachte sie (gutes oder schlechtes Zeichen, je nach dem Auge des Betrachters), ich versuchte, die beiden nicht länger als ein paar Sekunden aus dem Blick zu verlieren, wenn ich meinen Tischgenossen zu Diensten sein und sie zwangsläufig anschauen mußte. Tupra hatte sich nicht geirrt, als er mich daran hinderte, sie sogleich wieder zu verlassen, denn tatsächlich war meine Mitwirkung abermals erforderlich, jetzt auf Verlangen von Manoia, um ihm mit einigen englischen Worten oder Sätzen auszuhelfen, ich erinnere mich, daß er mich nach invaghirsi , nach sfregio , nach bazza fragte, bei diesen dreien sah ich mich in Nöten. Das erste war mir unbekannt, und so übersetzte ich es, nachdem ich Zeit gewonnen hatte, indem ich tat, als wolle ich sichergehen, daß er nicht invanirsi gesagt hatte, intuitiv auf zweierlei Weise, als to inebriate und to swoon oder faint , das heißt als »sich berauschen« und »in Ohnmacht fallen« oder »ermatten« (ein wenig Schuld daran hatte wohl die phonetische Nähe des Wortes »vage«), die natürlich keine Synonyme waren, aber durchaus aufeinander folgen konnten oder sich in dieser Reihenfolge nicht ausschlossen. Jedenfalls glaubte ich nicht, daß meine Untreue bedeutend war oder schwere Mißverständnisse verursachen konnte, diesem Herrn gefiel es, ausgesuchte Vokabeln zu benutzen, wie ich merkte (sogar regionale), oder vielleicht wollte er mich auf die Probe stellen, um mir zu schaden. Das zweite war mir ebenfalls unbekannt, ein Desaster, und außerdem fiel es mir nicht leicht, es mit irgend etwas zu assoziieren; Manoia wurde ungeduldig angesichts meiner Unschlüssigkeit, er drängte mich unhöflich (»Uno sfregio! Sfregio, dai! Uno sfregio!«), während er mit dem Daumennagel von oben nach unten über die Wange fuhr; aber da mir nicht einleuchten wollte, daß dieses Wort cicatriz , Narbe, heißen sollte, da cicatrice im Italienischen existierte, entschied ich mich unvernünftigerweise für etwas auf dem halben Wege zwischen Klang und Geste, das heißt für das spanische estrago , Verheerung, das ich im Englischen in dammage , havoc verwandelte. Später, als ich ein Wörterbuch zu Rate zog, fragte ich mich, ob Manoia damit gedroht hatte, mit diesem konkreten sfregio anderntags das Gesicht irgendeines Mitmenschen zu zeichnen, und dann wäre meine Übersetzung nicht völlig abwegig gewesen, oder ob er Teil der Beschreibung zum Beispiel irgendeines Mafioso oder Monsignore war, und in diesem Fall hätte ich mich schön blamiert, da der Begriff mehr oder weniger »Schmarre« oder »Schmiß« bedeutete. Was den dritten betraf, so brachte er mich am meisten in Verlegenheit, gerade weil ich ihn unter zwei völlig unterschiedlichen Bedeutungen kannte, ich hatte ihn während eines schon weit zurückliegenden Aufenthalts in der Toskana gelesen oder gehört, und mein gutes Gedächtnis hatte ihn bewahrt. Ich zögerte ein weiteres Mal, stockte, denn eine seiner Bedeutungen war »langer Unterkiefer« oder »vorspringendes Kinn«, eben das, was Manoia in seinem Gesicht nicht verbergen konnte oder was ihn in seiner Heimat vermutlich von Kind auf zu einem bazzone gemacht hatte – einem Kinnriesen, wie soll man sagen, einem Kinnlader: dieses spöttische Vergrößerungswort hatte ich wiederum in irgendeinem alten Film mit Alberto Sordi gehört (an den ich mich natürlich in einer Rolle als dentone erinnerte) oder, was wahrscheinlicher war, mit dem großen Totò, denn als bazzone dürfte diesen außergewöhnlichen Komiker wohl niemand jemals übertroffen haben. Die andere Bedeutung, die etymologisch mit unserem baza , dem Stich beim Kartenspiel, zusammenhing, war »Glücksfall« und auch »gutes Geschäft«. Da ich

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