Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
Vehemenz, diese schmeichelhafte, ständige Aufmerksamkeit, der Eindruck eines liebenswürdigen, wachen Menschen, den er seinen Gesprächspartnern vermittelte, wenn es ihm paßte, und daß kein Wort von ihnen jemals ungehört oder unbeachtet und damit vergeudet oder umsonst ausgesprochen sein würde; seine sonderbare reservierte Anspannung, die zwar nie den Umgang mit ihm behinderte (man fühlte sich sehr wohl mit ihm, sehr behaglich, wenn man sie zuließ), aber immer hinter seinen kleinen Eitelkeiten und seiner wortlosen, sanften Ironie zu erkennen war, eher als Verheißung von Intensität und Bedeutsamkeit denn als Gefahr von Konflikten oder Turbulenzen; es war sicher, daß diese ganze in irgendeinem Winkel aufbewahrte, endlos wartende oder vergrabene oder gefangene Glut imstande war, selbst die Widerspenstigsten und Argwöhnischsten anzustecken und sie soweit zu bringen, daß sie sich zwar nicht auf seine Seite schlugen, aber doch in seine Lage versetzten oder vielleicht seine Perspektive einnahmen oder nur seine Augenhöhe, die keine andere ist als die menschliche. Sie ist die angemessene, ihr weicht man nicht aus.
Und so murmelte er inmitten des Lärms und gewann Minute für Minute das Ohr seines Gastes, er tatsächlich wie ein argumentierender, offenherziger Jago oder Iago, dessen Redlichkeit gewahrt bliebe, bis der Vorhang fallen würde und sogar danach, im Nachhall seiner Tiraden bei der Rückkehr nach Hause (Redlichkeit und Unredlichkeit können zusammengehen und miteinander vereinbar sein, die erste die Methoden und die zweite das Ziel abdecken oder Mittel und Zweck, wenn man politischere Begriffe vorzieht); es war, als müßte er keinen großen Gebrauch von Ausflüchten und Listen und nicht einmal von simplen Täuschungen machen, von der heimtückischen Einträufelung der Gifte und Keime, um fremden Willen auf Abwege zu bringen oder zu lenken und Schwüre, Kapitulationen, Entsagungen, fast Bedingungslosigkeiten zu erpressen. Tupra würde niemals die häßlichen Worte des Parteigängers des Mohren denken, sich vorsagen, sich vorhalten müssen: »Ich will dieses Gift ihm in die Ohren gießen«, denn er überzeugte mit der Überzeugung und würde nur selten etwas auf der Grundlage falscher Angaben oder von Betrug einfädeln, oder so schien es mir: daß seine Argumente argumentierten und seine Begeisterungen begeisterten und sein Abraten wirklich abriet und daß er weiter nichts brauchte oder nur sein Schweigen bisweilen, das zweifellos jene schweigen ließ, vor denen er es bewahrte. Allerdings würde er vielleicht andere beunruhigende Worte Jagos denken oder sich oft vorsagen müssen: »Ich bin nicht, was ich bin.« Für mich war es schwer zu wissen, was er war, trotz meiner vermeintlichen Gabe, die ich mit ihm teilte, oder meines sicheren Fluches, der vielleicht nur meiner war. Und es war auch nicht einfach zu wissen, was er nicht war.
»The Sismi«, lautete einer der Namen, der mehr als einmal aus seinem Mund kam oder aus dem Manoias, und wenn dieser es war, der ihn in jenem Kontext sagte, in dem das Englische vorherrschte, klang es wie »the sea’s me«, also »das Meer bin ich«, allzu unwahrscheinlich selbst für den Namen eines Schiffes oder eines reinrassigen Pferdes (obwohl ich mich an mich selbst in meiner fieberhaften Lektürenacht bei Wheeler erinnerte, am Fluß Cherwell, als ich beim Schlafengehen dachte: ›Ich bin der Fluß‹), weshalb ich annahm, daß es sich eher um eine Abkürzung handeln dürfte, von irgendeiner Organisation oder Institution oder Ordensgemeinschaft oder vatikanischen Fraktion oder Bruderschaft (wie die ’Ndrangheta oder die Camorra, aus dem Süden). Ich fing auch fünf Nachnamen auf, zumindest behielt ich so viele, weil sie wiederholt vorkamen in jenem Augenblick des Gesprächs und wegen meines ausgezeichneten Gedächtnisses, das alles archiviert, was meine Augen sehen und meine Ohren hören: Pollari, Martini, Letta, Saltamerenda, Navarro, vor allem die ersten drei. (Fast paßten sie zu dem falschen Italiener und halbfalschen Briten Incompara, über den die junge Pérez Nuix am Abend ihres regnerischen Besuches mit mir gesprochen hatte und den wir beschützen oder begünstigen sollten, absichtsvoll und unbemerkt.) Ich nahm mir vor, sie später in einem neueren Who’s who in Italy zu suchen, um ein wenig gegen die übliche Unstetigkeit oder Trägheit meiner Neugier anzugehen, und weil ich über den vierten lachen mußte, obwohl in diesen Katalogen nur Personen
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