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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ich. ›Vielleicht könnte ich auch die von Claire Bayes bestimmen, meiner einstigen Oxforder Geliebten, allerdings zeigen sie sich mir seit Ewigkeiten nicht mehr und könnten sich verändert haben, Narben aufweisen, oder eines von ihnen könnte lahm sein wie das von Alan Marriott oder angeschwollen oder das einzige sein, so wie er nur drei besaß, der Hund, dem nicht die Zigeunerin das vierte abgetrennt hatte – das muß ich mir immer in Erinnerung rufen, daß nicht sie es war, denn beim ersten Pulsschlag meiner Erinnerung ist es immer das, was ich denke und was mich anfällt, die Annahme, die erfundene Geschichte mit ihrer schrecklichen Gedankenverbindung und ihrem grauenvollen Paar ist in mir lebendiger geblieben als die wahre mit ihrem Bahnhof und ihren betrunkenen Fans des Oxford United –, die junge Blumenverkäuferin aus jener Zeit, in der Clare Bayes mich besuchte mit ihrer Tasche voller seltsamer Einkäufe, ihren geforderten Ewigkeitsfragmenten oder ihrer aufgezwungenen dehnbaren Zeit und mit einer Spur Nützlichkeitsdenken, jetzt kann ich es mir sagen, ohne daß mich das Wort oder die Tatsache schmerzt, das war in einem anderen Land, und was das Mädchen betrifft, wer weiß, wer mochte es wissen (aber das Land ist wieder dasselbe), ein Autounfall genügt, und der kann jeden treffen, die Amputation kommt später, und dann würde sie in den geräumigen, leeren Waschraum gehen müssen. Aber es ist schwer, sich Clare Bayes ohne Bein vorzustellen, denn beide waren so ansehnlich, mit italienisch beschuhten Füßen oder barfuß, in privaten Innenräumen zog sie sich immer die Schuhe aus, zwei Fußtritte in die Luft, und die Schuhe flogen, und dann mußte man nach ihnen suchen‹, das dachte ich vor den geschlossenen Kabinetten mit ihren acht Paar glänzenden Schuhen, die unter den Türen hervorschauten, und auch bevor ich einschlief mit dem ganzen Unbehagen, mit dem ich ins Bett gegangen war, bestimmt dachte ich an die Szene in der Damentoilette und rief mir das von meiner Mutter erzählte, in dichte Nebel gehüllte Märchen in Erinnerung, um aus meinem Kopf zu verbannen, was später geschehen war, und den Nadelstich in meiner Brust zu besänftigen. Und danach vermochte ich noch zu denken, nur noch mit einem Fetzen wachen Bewußtseins: ›Dagegen würde ich nicht die Beine von Pérez Nuix erkennen, noch nicht, wenn denn dieser Ausdruck, noch nicht, irgendeinen Zweck oder Sinn hat.‹
    Was ich in jenem Augenblick sagte, war nicht nötig, es war offensichtlich, daß die Verschwundenen sich auch hier nicht befanden, und ich hätte mich beeilen müssen, sie in anderen Bereichen zu suchen, ich glaubte noch immer nicht, daß sie gegangen waren, aber ich konnte es nicht riskieren, Tupra zu verärgern, und Manoia noch weniger, »Halt dich nicht auf und warte nicht«, so hatte die Empfehlung oder Anweisung gelautet, und der Auftrag war: »Bring sie her.« Aber ich hielt mich trotzdem ein wenig auf, sehr wenig. Ich vermute, daß der Anblick der acht Türen und sechzehn Beine mir zu verführerisch erschien, als daß ich ihn gleich nach seiner Entdeckung wieder hätte aufgeben mögen, ohne auch nur die Sekunden zu verweilen, die nötig waren, um ihn wenigstens festzuhalten und zu bewahren, wie jemand, der sich eine Telefonnummer einprägt, die lebenswichtig für ihn ist, oder einige Verse auswendig lernt (»Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam, all das, was uns betraf, frei im Raum schweben zu sehen. Und das Totsein ist mühsam …« Oder auch: »And indeed there will be time to wonder, ›Do I dare?‹ and, ›Do I dare?‹. Time to turn back and descend the stair, with a bald spot in the middle of my hair …«; und ein wenig später kommt die Frage, die niemand sich stellt, bevor er handelt oder bevor er spricht: »Do I dare disturb the universe?«, denn alle wagen, das Universum aufzustören und es zu belästigen, mit ihren flinken, kleinen Zungen und mit ihren elenden Schritten, »So how should I presume?« ). Vielleicht zog dieser Anblick mich wegen der Kindheitserinnerung an – es bedeutet etwas, wenn ein nur erzähltes und niemals gesehenes Bild das ganze Leben in uns bleibt –, oder vielleicht lag es am prosaischen Element der Sekrete und Körpersäfte, Sir Peter Wheelers Vokabular zufolge, nachdem ich Beryls seltenen, sexuellen Geruch und die wunderbaren Schenkel gelobt hatte, die sie so offen zur Schau gestellt hatte, zur Verzweiflung und rauschhaften Begeisterung des verfluchten

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