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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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so klang es), es war The Bard of Armagh , ein irisches Lied, oder The Streets of Laredo , wenn man es vorzieht, aus dem amerikanischen Westen (es ist die gleiche Melodie mit unterschiedlichem Text und anderer Begleitung), ich erkannte es sofort, ich habe es hundertmal in Filmen und von einigen Schallplatten gehört, und das Lokal trieb es nicht so weit, Lautsprecher in den Toiletten zu installieren, so daß die Musik der Tanzflächen kaum mehr als ein fernes Echo war hinter der Doppeltür der englischen Waschräume, und so setzte sich die gut hörbare Ballade, oder vielleicht ist es ein Wiegenlied, sogleich in meinem Kopf fest, ich kannte mehr oder weniger den Text der Cowboy-Version, die sehr viel bekannter ist als die irische, »I spied a young cowboy all wrapped in white linen, all wrapped in white linen as cold as the clay« (»Ich erblickte oder bespitzelte einen jungen Cowboy, ganz in weißes Leinen gehüllt, ganz in weißes Leinen gehüllt, kalt wie Ton«), es ist die ausspionierte Geschichte eines sprechenden Toten (oder vielmehr die verleugnete, die Nicht-Geschichte), der möchte, daß sein gewaltsamer Tod vor seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Braut verborgen bleibt, das heißt, der schlechte Lebenswandel, der ihn zu diesem Tod geführt hat, »For I’m a poor cowboy and I know I’ve done wrong«, das war eine der Zeilen, die mir einzeln und wahllos, aus der Reihe, in den Sinn kamen, »Denn ich bin ein armer Cowboy und weiß, daß ich Unrecht getan habe«, sagt die Zeile; oder »daß ich falsch gehandelt habe«, wenn man will. Und vielleicht ist es kein Toter, sondern ein Sterbender, das bleibt ambivalent und dunkel in dem verschwiegenen Text oder hängt vielleicht von den Varianten und den Interpreten ab. Aber das glaube ich nicht. In meiner Erinnerung spricht der arme Cowboy als Toter.
    Ich verließ die Herrentoilette vor den drei oder fünf, die dort waren, ich war schnell. Noch immer wartete eine Frau vor der Damentoilette, viel Kommen und Gehen, also betrat ich die der Behinderten – auf der Tür prangte das extravagante Bild eines Hakens, vielleicht hätte ein Rollstuhl zu prosaisch und schäbig gewirkt für diesen blasierten Ort – oder der Krüppel, wie Tupra sie genannt hatte – ich hätte mich beinahe in einen verwandelt, als ich auf der Rampe ausrutschte, sie sind kriminell für die Unversehrten –, sicher nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil er bestimmt geglaubt hatte, daß Manoia das entsprechende englische Wort eher unbekannt sein dürfte. Sie war in der Tat sehr viel größer, nachgerade geräumig, und seltsam leer. Nicht, daß ich mich wunderte, weil keine Behinderten darin waren: dieser Waschraum war ein einziges Entgegenkommen, ein Zeichen von Rücksicht oder eine rein heuchlerische Maßnahme, oder womöglich zwangen die Vorschriften für Diskotheken mit der hartnäckigen Demagogie unserer Tage dazu. Normalerweise gibt es jedoch in diesen Lokalen nicht eben viele Rollstühle oder Krücken, nicht einmal Haken. Was ich ungewöhnlich fand, vor allem mit dem Blick des Spaniers, der mich nie verlassen hat, war der Umstand, daß die anderen Leute nicht mit aller sans-façon und Freiheit hier hereinströmten und die so bequemen Einrichtungen nutzten, als seien sie auch für sie bestimmt, zumal dann, wenn anderswo Gedränge herrschte. In meinem Land hätte niemand der Vignette auf der Tür die geringste Beachtung geschenkt: man hätte sie gar nicht gesehen (wirklich niemand; unzivilisiertes Volk). Unklar war mir die Funktion einiger zylindrischer Metallstangen, die hier und dort aus den Wänden ragten, vielleicht dienten sie als Stütze für diejenigen, die gebrechlich sind oder mit größter Mühe gehen, ich berührte sie, es waren vier, kompakt, nicht hohl, kalt, eine war unbeweglich, und die anderen ließen sich seitlich nach rechts und links bewegen, das heißt aus dem Weg räumen und an die eleganten falschen Kacheln klappen, es waren keine Handtuchhalter, denn Handtücher waren keine da, ich hatte auch nicht die Zeit, darüber zu spekulieren oder mich an ihnen hochzuziehen, den Magen gegen sie gedrückt (ich glaube, die Sportkommentatoren bezeichnen diese Stellung erstaunlicherweise als »Bauchrolle«), als wären es Stangen für Gymnastikübungen, um auszuprobieren, wieviel Gewicht sie tragen würden: sie waren nicht hoch, in Schulterhöhe. Ich hatte De la Garza und Flavia noch immer nicht gefunden, all diese Schritte tat ich sehr schnell, aber meine Eile wurde größer

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