Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
mit jeder Sekunde, die verging, ohne ihrer ansichtig zu werden. Ich schaute mich sorgfältig um, ich schaute mir den luxuriösen Ort der Behinderten bis in den letzten Winkel an, für alle Fälle, und ging hinaus, es galt, sich mit Entschlossenheit und Frechheit gewappnet in die Damentoilette zu wagen, es blieb mir nichts anderes übrig, ich konnte nicht riskieren, daß das unheilvolle Duo sich dort hineingeflüchtet hatte, um sich dem Laster zu ergeben (›Das kann einfach nicht sein‹), und ich es aus mangelndem Wagemut nicht in Erfahrung brachte. »But please not one word of all this shall you mention, when others should ask for my story to hear«, lauteten zwei andere Zeilen des plötzlich erinnerten Liedes, das sich jetzt trotz des mich umgebenden Lärms in meinem Kopf festgesetzt hatte, wenn auch nur stückweise, »Aber kein Wort davon darfst du erwähnen, ich bitte dich, wenn andere von dir meine Geschichte hören wollen«. Ich hoffte, nichts zu sehen, dessen Anblick mir unangenehm wäre, keine Geschichten zu entdecken, die man von mir würde hören wollen; ich hoffte, es würde nichts geben, das ich später erzählen könnte oder müßte.
    Es gab noch immer eine Frau, nicht dieselbe wie zuvor, die darauf wartete, in die vielbesuchte Toilette hineinzukommen, die für Frauen und ich weiß nicht ob auch für Transvestiten reserviert war (ich hatte ein paar dort gesehen, mir ist nicht bekannt, wohin man sie schickt an den öffentlichen Orten). Ich eilte so rasch und entschlossen an ihr vorbei, daß sie meinen Verstoß erst dann bemerken konnte, als die erste Tür bereits hinter mir ins Schloß fiel. »Hey, you«, versuchte sie zu rufen, aber zu spät und ohne Überzeugung, wie ich gerade noch hören konnte, das zweite Wort fast abgewürgt, so als sei ihr der Strom ausgefallen – also war es kein Ausruf –, sie würde mir nicht nach drinnen folgen, sie nicht. Ich warf mich in die Brust, holte Luft, straffte die Schultern und öffnete die zweite Tür mit der gleichen Unverfrorenheit (ein Auftritt), sie führte bereits in den Toilettenraum, plötzlich der Anblick zahlreicher Damen vor den Spiegeln oder in ihrer Nähe, die warteten, bis sie an der Reihe waren oder eine Lücke zwischen zwei Haarmähnen nutzten, um sich aus der Ferne die Frisur zu richten; es trat fast Stille ein, Gesichter wandten sich mir zu, ich sah perplexe Augen, amüsierte, erschrockene und sogar anerkennende. Ich murmelte mehrmals mit Sicherheit die absurde Vokabel »Sicherheit, Sicherheit«, und dabei zog oder hob ich jedesmal einen der Aufschläge meines Jacketts, so als trüge ich auf ihm ein Abzeichen, das ich nicht trug; aber das macht nichts, worauf es ankommt, ist die Geste oder der Hinweis, obwohl es nichts gibt, auf das hingewiesen werden kann, wie der Zeigefinger, der in den Himmel weist, worauf alle nach oben schauen, in das Blau und in die Wolken, die so leer und ruhig sind wie einen Augenblick zuvor; ich wußte nicht einmal, ob das wiederholte Wort »Security« im Englischen wirklich plausibel war oder ein noch größerer Unsinn als im Spanischen, ob es das war, was ein britischer Polizist oder Rausschmeißer bei der Verfolgung von jemandem oder bei dringenden Durchsuchungen sagen würde.
    Ich ließ den Blick rasch schweifen, angenehme Gesichter im allgemeinen, wenn Rafita und Frau Manoia sich hier eingeschlichen hatten, dann waren sie töricht, wenn nicht dumm (na ja, er war es absolut, aber doch nicht so sehr, um sich in eine brechend volle Toilette zu begeben, während die der Versehrten nahe und leer war); aber da ich nun einmal drinnen war, mußte ich mich vergewissern, also näherte ich mich den Kabinen mit dem festen Schritt eines Inspektors oder Schergen (Befehle durchführen, etwas im Auftrag eines anderen tun und nicht im eigenen Interesse oder aus eigener Initiative, hilft und befreit den Geist von Verantwortlichkeiten, einen Dienst leisten flößt Ungeniertheit und Rücksichtslosigkeit und vielleicht sogar Grausamkeit ein); es waren acht, allesamt besetzt, wie zu erwarten war aufgrund der ständigen Schlange draußen. Ich warf einen Rundblick unter die amputierten Türen, zwei faltige Hosen und sechs Röcke oder eher nicht – die Röcke dürften hochgeschoben sein und waren nicht zu sehen –, vielmehr sechs Beinpaare mit heruntergelassenen Strümpfen und Slips (ein Tanga war darunter, und eine der Frauen trug keine Strümpfe, das war seltsam in England selbst im Sommer, bestimmt eine Ausländerin. ›Wie

Weitere Kostenlose Bücher