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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Lager Ravensbrück, wo sie langsamer starben, nur weil wir das Pech hatten, daß dort, wo wir lebten, die Agenten mit ihren Fallschirmen gelandet waren, die in unseren besetzten Ländern Böhmen und Mähren den langsamen Tod des Reichsprotektors inszenierten, es genügte euch nicht, uns heftig zu hassen und einige wenige für ihre wahrscheinliche Kollaboration zu bestrafen, was für ein Zeitverlust für euch, nachzuforschen oder zu unterscheiden, vielmehr galt euer Haß unserer ganzen Wiege, und ihr habt sie dem Erdboden gleichgemacht, damit keine Erinnerung an sie existierte und fortlebte, und habt uns alle ermordet, damit auch niemand übrig bliebe, der sich an das nicht Existente hätte erinnern können«, würden zu den Nazibesatzern die hundertneunundneunzig Männer und die hundertvierundachtzig Frauen jenes tschechischen Dorfes sagen, an denen Vergeltung für Heydrichs eingetretenes Ende geübt wurde, bis hin zum letzten Greis und zum vorletzten Kind, denn drei von ihnen, sehr klein und »von arischem Aussehen«, wurden für »germanisierbar« gehalten und retteten sich so, aber wohl nicht den Gebrauch ihres Gedächtnisses. »Du hast mich aufgeschlitzt und ließest mich keinen Vers mehr schreiben mit meinen neunundzwanzig Jahren, du hast mir mein Mannesalter geraubt, dachte ich, als ich auf den weinbespritzten Boden stürzte, der sich mit meinem Blut tränkte; aber ich war arglos, du warst schneller, ich hätte das gleiche mit dir getan, dein Leben so wertvoll wie meines damals, obwohl du keine Zeile geschrieben hattest, und es ist etwas anderes, daß andere Menschen, die später kamen, dich in ihrem Egoismus verabscheuten, weil du meine Kunst verstümmelt hast und sie darum brachtest, sie in ihrem ganzen Ausmaß zu genießen; doch ich, der ich dein Toter bin, habe keine Klage noch Grund, dich zu beschuldigen«, würde der Dramatiker und Dichter Marlowe zu seinem Mörder Ingram Frizer in der Taverne von Deptford sagen, wenn dies denn sein endgültiger Name ist, der im Lauf der Jahrhunderte unbekannt oder wechselnd war. »Du hast veranlaßt, daß zwei Schergen mich mit dem Kopf nach unten in ein Faß deines ekelhaften Weines tauchten und darin ertränkten, weh mir, armer Clarence, an den Beinen gepackt, die draußen blieben und lächerlich zu strampeln versuchten bis zum letzten Rausch meiner Lungen, verraten und erniedrigt und getötet durch die schwarze, trübe List deiner unermüdlichen, ungestalten Zunge«, würde George, Herzog von Clarence, zu seinem König von England und Mörder sagen, der auch Shakespeares König war.
    O ja, an diesem letzten Tag, der alle Zeiten enthielte und vielleicht reglos in der Schwebe bliebe, würden ein ums andere Mal diese Sätze erklingen und am Ende Übelkeit bei allen Toten erregen, einschließlich der Mörder (aber niemand hat sich jemals das Ergebnis der ganzen Summe vorgestellt, und wenn die Dinge aufhören, haben sie eine Zahl), und sogar bei dem Richter, den man nicht belügt, der sich vielleicht versucht sehen würde, sein Versprechen und seine Pläne zu vergessen und die ewige, übelriechende Versammlung für immer aufzuheben: »Ich starb da und dann und in dieser Weise, und du hast mich getötet oder mich in die Bahn der Kugel, der Bombe, der Granate oder der Fackel, des Steines, des Pfeiles, des Schwertes oder der Lanze gestellt, du hast mich in das Bajonett, in den Krummsäbel, in die Machete oder die Axt, in das Messer, das Schlagholz, den Karabiner oder den Säbel laufen lassen, du hast mich getötet, oder du warst die Ursache. Möge jetzt alles wie Blei auf deine Seele fallen und mögest du den Nadelstich in deiner Brust fühlen.« Und die Angeklagten würden immer antworten: »Es war notwendig, ich habe meinen Gott, meinen König, mein Vaterland, meine Kultur, mein Volk verteidigt; meine Fahne, meine Legende, meine Sprache, meine Klasse, meinen Raum; meine Ehre, die Meinen, meinen Tresor, meinen Geldbeutel und meine Socken. Kurzum, ich hatte Angst.« (Auch das war ein Vers, und ich sagte ihn mir später laut vor, als ich schon im Bett lag: »And in short, I was afraid«, mehrere Male, denn in jener Nacht wandte ich es auf mich an oder unterschrieb es: »And in short, I was afraid.« ) Oder aber sie behalfen sich mit: »Es war notwendig, und ich habe damit Schlimmeres verhütet, oder das glaubte ich.« Denn vor diesem von Überdruß und Übelkeit geplagten Richter würden sie nicht vorbringen können: »O nein, ich wollte das nicht, ich hatte nichts damit zu

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