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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Betäubung, um nicht zu sehr an meine zu denken, die mir noch nicht als Erleichterung erschien; er sagte mir nichts, aber wenn wir miteinander telefonierten oder uns schrieben – letzteres, um ihm gefällig zu sein: »Ich mag nicht, wenn der Briefkasten immer leer ist oder nur Werbung und sonst irgendein Mist drin ist« –, merkte ich, daß er mich vermißte, ein bißchen vielleicht); sicher erwartete er keine spürbaren Veränderungen mehr oder irgendein unheilvolles Ereignis, das seine in ungleich schwierigeren Zeiten als den heutigen im wesentlichen bereits skizzierte Geschichte im nachhinein ruinieren könnte, eine Geschichte, die er sich selbst schon erzählt hatte, wenn nicht mit Stolz, so doch natürlich ohne Abscheu und fast ohne Beschönigungen, so vermutete ich; und es war auch nicht wahrscheinlich, daß er es in fremden Augen verdarb, nicht einmal in den anspruchsvollen Augen eines Sohnes, und damit mein Vertrauen enttäuschte, es sei denn, ich würde eines Tages eine böse Entdeckung machen und etwas Verborgenes bliebe nicht länger verborgen. (Ich dagegen war durchaus imstande, seines und das jedes anderen zu enttäuschen, das ist der Nachteil, wenn man das Leben erst zur Hälfte gelebt hat; und wahrscheinlich hatte ich schon einige enttäuscht, das Luisas und das meiner Kinder mit Sicherheit.)
    Was Wheeler betraf, so bestand bei ihm womöglich größere Gefahr, weil er ein falscher Greis war und weil sich hinter seiner ehrwürdigen, besänftigten Erscheinung noch energische, nahezu akrobatische Umtriebe verbargen und hinter seinen zerstreuten Abschweifungen ein beobachtender, analytischer, antizipierender, deutender Geist, der unaufhörlich urteilte; er schien willens zu sein, nicht nur über seine eigene abnehmende und zugleich reichlich vorhandene Zeit zu bestimmen, sie nicht mehr dem Zufall zu überlassen und ihr soweit wie möglich ihre letzten Inhalte zu diktieren, sondern auch weiterhin Teilnahme und Einfluß bei der einen oder anderen minderen Angelegenheit der Welt zu beanspruchen, sei es auch nur über Freunde, über mich oder über Tupra oder über jemanden, den weder ich noch Tupra kannten, wer wußte schon, wie viele sonst noch kamen und ihn in seinem Haus am Fluß besuchten oder ihn nur anriefen oder mit Frau Berry als Mittlerin sprachen oder ihm vielleicht sogar Briefe schrieben. Nicht zu vergessen, er hatte den Kontakt mit Tupra hergestellt und mit allem, was von diesem kam, das mochte eine spontane Regung von ihm gewesen sein, ein Eingriff in mein Leben und eine Bertram geleistete Hilfe, jedenfalls ein Angebot, kein anderer als er konnte mich der Gruppe und dem namenlosen Gebäude angeboten haben, denen ich jetzt angehörte, fast ohne mir der Angehörigkeit bewußt zu sein, etwas mehr war ich es am Ende jener Nacht. Wheeler verzichtete nicht darauf, anzuzetteln, zu lenken, zu manipulieren und zu inszenieren, und deshalb setzte er sich nicht nur der Gefahr aus, sich noch mit Ruß zu beschmutzen an der Glut oder dem schwelenden Feuer, sondern sich zu verbrennen. Er schien es nicht zu fürchten, wie auch mein Vater nicht, aber ein jeder mit unterschiedlicher oder sogar gegensätzlicher Furchtlosigkeit: Es konnte sein, daß Juan Deza sich als bereits in aller Regel gemalt und fertig sah und Peter Wheeler dagegen als unverbesserlich und hingekritzelt, angefangen bei seinem ausgetauschten und ausgestrichenen Namen, so sah ich es mit meiner unvollkommenen Wahrnehmung; es wäre gewagt, übertrieben, ungerecht gewesen, zu behaupten, daß der erste sich in Sicherheit fühlte und der zweite verurteilt, sei es auch nur auf erzählerischer Ebene und keinesfalls auf der moralischen. Ich weiß nicht, vielleicht wußte Wheeler seine Überzeugung, daß die Menschen ihre Möglichkeiten im Blut tragen und es nur eine Frage der Zeit, der Versuchungen und der Umstände ist, ob sie sie am Ende entfalten, auf sich selbst anzuwenden; und er kannte seine eigenen gut, möglicherweise im voraus, aber auch schon aus Erfahrung; und er wußte, daß er über alle drei Dinge im Übermaß verfügt hatte, vor allem über Zeit: um überzeugend zu sein und seine Feinde an Gefährlichkeit und Niedertracht zu übertreffen und eine größere oder tödlichere Fabulierkunst zu entwickeln als sie; um die meisten Menschen auszunutzen, die dumm und leichtfertig und leichtgläubig sind und bei denen man leicht ein Streichholz anzünden kann, das zu einem Brand führt, der sich seinerseits ausbreitet wie die schlimmste der

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