Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
mit ihr verdankte, vor allem dem letzten Teil mit meiner optimistischen, womöglich unbegründeten Vermutung, daß noch niemand in ihr Leben getreten war, nicht ganz, und daher nicht in meine Wohnung Einzug gehalten hatte, um seinen Kopf auf mein Kopfkissen zu legen und alle meine Orte zu besetzen.
›Vielleicht sollte ich sie noch eine Weile behalten, diese Arbeit, trotz allem, trotz Pérez Nuix, trotz Tupra‹, dachte ich, als ich wieder in meinem Sessel saß und schläfrig zu werden begann, das Fernglas auf den Oberschenkeln, angekleidet, fast im Dunkeln, besänftigt durch die Drehorgel oder das Pianola, das seine Melodie in endlosen Lebewohls abspielte (Lebt wohl, ihr Scherze! Lebt wohl, ihr Späße! Leb wohl, Lachen und lebt wohl, Kränkungen), überzeugt, daß ich endlich eine Nacht ohne Schlaflosigkeit und Schrecken haben würde, ohne die Alpträume, die uns erdrücken, und ohne soviel Blei auf meiner Seele. ›Sie hat mir geraten, daß ich sie behalten soll, obwohl sie von dieser Arbeit nichts weiß, tatsächlich überhaupt nichts. Es ging nicht um das Meßbare, das war nicht ernst gemeint, ich schicke ihr ja mehr als das notwendige, das hat sie gesagt, ihre Ehrlichkeit ist die alte, sie hat sich nicht geändert, weil sie allein ist. Aber es ist gut, daß sie nur einen Schritt vom Luxus entfernt sind, auch das hat sie gesagt, mir gefällt es, daß ich das ermöglichen kann, auch wenn sie übertrieben haben wird, und das ist so dank dieser Arbeit, von der noch viel aussteht, immer bleibt etwas, ein wenig mehr und warum nicht weitermachen, eine Minute, die Lanze, eine Sekunde, das Fieber, und noch eine Sekunde, der Traum (aber dann kommen immer der Schmerz und das Schwert und dauern Tage und Wochen und Monate und vielleicht Jahre). Was vorgestern nacht geschehen war, was ich dabei gesehen und gehört hatte, beginnt in dieser anderen Nacht schon trübe zu werden und wird zweifellos im Lauf der Tage und des Nichtwahrhabenwollens verschwimmen, unsere Fähigkeit, etwas nicht wahrhaben zu wollen, ist gewaltig, wie auch die, einstweilen zu leugnen und vorübergehend zu vergessen, und wird am Ende vielleicht wie der Blutfleck auf dem Treppenabsatz sein, den gesehen zu haben ich nicht mehr schwören kann, denn als ich ihn ganz entfernte, gab ich dem Zweifel Raum, so widersprüchlich das sein mag: wenn ich weiß, daß ich ihn ausgelöscht habe, wie kann ich dann an ihm zweifeln; und doch ist es so, man löscht oder streicht aus, und das Gelöschte oder Ausgestrichene ist nicht mehr; und da es nicht mehr ist, wie kann man da sicher sein, ob es einmal war oder niemals gewesen ist; wenn etwas ohne Rand noch Spur verschwindet oder jemand verlorengeht, ohne seine Leiche zu hinterlassen, dann kann man an seiner absoluten Existenz zweifeln, selbst an der vergangenen und bezeugten. Man kann daher an der meines Onkels Alfonso zweifeln, von dem meine Mutter nur sein Foto als Toter fand, das ich jetzt bewahre, aber nicht seinen Körper. Man kann daher an der von Andrés Nin zweifeln, von dem man nicht weiß, wo er begraben liegt oder ob er überhaupt begraben ist (vielleicht in einem kleinen Innengarten des Palastes El Pardo, wo seine Knochen sechsunddreißig Jahre lang erzitterten, wenn sie die feindlichen müßigen Schritte auf ihrem namenlosen oder vielmehr unbekannten Grab vernahmen). Man kann an der von Valerie Wheeler zweifeln, die für mich weder Tod noch Leben hat, solange niemand sie mir erzählt hat, sie ist nur ein Name und der könnte erfunden sein, und vielleicht besser, wenn es so wäre (und vielleicht hatte mich deshalb ihr ewiger Witwer gewarnt: »In Wirklichkeit sollte man niemals etwas erzählen«). Was geschehen ist, woran ich vorgestern nacht Anteil hatte in diesem Land, das für mich eines Tages wieder »das andere« sein wird, wird immer nebelhafter, unwirklicher werden, vor allem, wenn es sich nicht wiederholt und ich es nicht erzähle und nicht darauf beharre, dann wird es allenfalls wie ein böser Traum erinnert werden, und nach Träumen kann man immer sagen: »O nein, ich wollte das nicht, das war nicht meine Absicht, ich hatte keinen Anteil daran und nichts damit zu tun, ich habe nicht gewählt, was kann ich machen, wenn diese Widerwärtigkeit oder diese Gewalt erschienen ist, die ich selbst verursache oder die ich nicht verhindert habe …« Das denkt der Träumer, und das denken wir alle, wer hat es nicht getan, dann und wann. Doch solange die Illusion dauert, nützt sie uns, und es geht nicht an,
Weitere Kostenlose Bücher