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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Sessel gegenüber einem Leuchtertisch, bedeckt von einer Spitzendecke, mit einem aufgeschlagenen Buch für fromme Lektüre, der Fotografie des Verstorbenen in einem silbernen Rahmen, einer Vase mit unverwelklichen Blumen und, gelegentlich, einem Aschenbecher«. In einem dieser kleinen Räume, »die gemütlich sein wollen«, sah der Reisende ein Paar Schuhe, Socken und ein wenig schmutzige Wäsche, die unter einem der Särge hervorschauten; in einem anderen Gläser; und in noch einem anderen, glaubte er, ein Kartenspiel. »Nach meiner Auffassung«, schrieb mein Landsmann dazu, »hat ein derartiges décor keinen anderen Zweck als den, dem Besuch bei den Toten etwas Vertrautes, Normales und Angenehmes zu verleihen, damit er sich nicht sonderlich von einem unterscheidet, den man den Lebenden abstattet.« Das heißt, er sah diese Sitte nicht in einer Reihe mit der der alten Ägypter, die alles taten, damit es dem Verstorbenen in seiner ewigen, beschlossenen und besiegelten Vereinzelung an nichts von dem fehlte, was er zu Lebzeiten genossen und geschätzt hatte – dem bedeutenden Toten zumindest –, sondern verband sie »weniger mit dem Wunsch, dem Toten den Aufenthalt in dem Raum angenehm und heimisch zu machen, als mit dem Bedürfnis des Lebenden, an diesem Ort freundlich empfangen zu werden«. Und er fügte hinzu, außerstande, den Ernst der Ironie zu übersehen: »Man stellt sich vor, daß es dort die Lebenden sind, die die Gesellschaft der Toten suchen, die, wie Comte zu bedenken gab, nicht nur die Mehrheit sind, sondern auch die einflußreichsten und beseeltesten.«
    Was diesen Reisenden jedoch schaudern ließ, war die »perfekte Komposition«, die er in einer dieser Grabkammern »mit einer gewissen Indiskretion« betrachtete: außer dem kleinen Teppich, den beiden kleinen Sesseln und dem Tisch mit dem Familienfoto, dem Kruzifix und ein paar künstlichen Blumen entdeckte er »einen Wecker, wie sie zur Zeit unserer Eltern in den Küchen zu finden waren, rund, mit seinem Glöckchen unter einem runden Helm und zwei kleinen Kugeln als Füßen«. Alle, er und seine Begleiter, legten natürlich das Ohr an die Tür, um ein »Ticktack (zu hören), das so ungeheuerlich war, daß es sich zum normalen Ticktack verhielt wie der Schrei zur Stimme«. Und dieser Anblick und der tönende Takt lösten seinen Gedankengang aus, der in dem Zitat gipfelte, das ich nie richtig verstanden habe und an das ich mich deshalb erinnere und das mir zu denken gibt. »War es so«, fragte er sich, »daß er, wie die lebendig Begrabenen bei Edgar Poe, der Welt der Lebenden das makabre Vergessen vor Augen führen wollte, dem er dort überlassen worden war? Oder wollte er den Schwerhörigen, die um ihn waren, das Maß der Zeit zu Gehör bringen, brauchte er diese übertriebene Glocke?« Und dann kam er zum Kern der Sache, zur eigentlichen Frage, die diese altmodische Uhr, der scheinbar nutzloseste und überflüssigste aller Wecker, aufgeworfen hatte: »Und was maß er letztlich? Ich fragte mich«, fragte sich der Mann aus meiner Stadt; ja, das war die zentrale Frage, »ob es die Zeit war, die sie tot waren; oder ob es die Zeit war – der Countdown, wie es heute heißt –, die fehlte bis zum Jüngsten Gericht. Wenn es die Stunden der Einsamkeit waren, zählte er dann die bereits vergangenen oder die noch ausstehenden? Nie schien mir eine – noch dazu so schlichte – Uhr so an ihrem Platz zu sein, so sehr zum Denken einzuladen. Ich dachte mit einem gewissen Staunen, daß ein Glaube, der eine so starke Betonung auf die prekäre Zeit des Wartens gelegt hat, sich nicht darum gekümmert hat – bis zu der Person, die diesen Wecker hingestellt hatte –, der Seele die Erleichterung zu gewähren, die ihr das Messen ihrer Angst verschafft; denn wenn die Seele auf die Wiederauferstehung des Fleisches wartet, was gibt es dann Besseres als die Uhr, die ihr ermöglicht, weniger die Zeit zu berechnen, die ihr noch zu warten bleibt, als die Zeit, die sie schon gewartet hat?« Und an dieser Stelle kamen oder erschienen die rätselhaften Sätze: »Davon abgesehen scheint mir, daß die Zeit die einzige Dimension ist …«, ich habe sie bereits angeführt, wortwörtlich. Ihnen folgte noch etwas, aber es taugte nicht, um sie zu erhellen, im Grunde ist das nicht so wichtig, auch Shakespeare versteht man oft nicht oder nicht ganz, und doch eröffnet er bei jeder dunklen Metapher oder blendenden Ambivalenz zehn Wege oder Abzweigungen, die man betreten und auf

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