Dein Glück hat mein Gesicht (Junge Liebe) (German Edition)
obwohl er sofort
merkte, dass der Ärztin nicht nach Späßen zumute war.
„Die Dunkelzahl von Inzest-Kindern ist wohl niemandem
direkt bekannt“, fügte sie hinzu. „Neal, ich muss Sie fragen,
und es ist wichtig, dass Sie mir die Wahrheit sagen, sonst
sehe ich mich verpflichtet, diesen Fall zu melden.“
Neal schluckte. Sein Leib verkrampfte sich. Unsicher sah
er die Ärztin an.
„Was wollen Sie wissen?“
„Haben Sie Ihre Schwester missbraucht? Vergewaltigt?“
„Nein!“ Neals Augen wurden weit vor Entsetzen. Mit
einem derartigen Verlauf des Gespräches hatte er nicht
gerechnet. Er wollte doch nur ehrlich sein, und nun ... „Ich
habe nichts getan, was sie nicht wollte.“ Flehend sah er die
Ärztin an. „Bitte, Sie müssen mir glauben. Fragen Sie Francis
selbst, aber bitte, melden Sie uns nicht.“
Dr. Kress nickte, trotzdem schien sie weiterhin
nachdenklich.
„Ihnen ist hoffentlich bewusst, was so eine
Schwangerschaft bedeutet?“
„Ja.“ Neals Stimme wurde leiser. „Deswegen wollte ich ja
mit Ihnen reden.“
Er machte eine kurze Pause, dann sprach er das aus,
was er eigentlich auf dem Herzen hatte.
„Wir sind Halbgeschwister. Francis hat einen anderen
Vater“, erklärte er. „Da ist doch die Gefahr einer auftretenden
Erbkrankheit bei dem Kind deutlich geringer, oder?“
Man spürte die Anspannung in ihm. Dr. Kress konnte ihn
etwas beruhigen, wenn auch nicht vollkommen.
„Wenn Geschwister sich fortpflanzen, liegt die
Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer rezessiv vererbten
Krankheit bei ungefähr 25 %.“
Ein erneuter Schauer ging durch Neals Körper. „So
viel?“
Die Ärztin nickte bestätigend. „Da Sie keine vollbürtigen
Geschwister sind, wird die Wahrscheinlichkeit für eine
Erkrankung definitiv geringer sein, aber ganz ausschließen
kann man das nicht.“
Neal schloss die Augen. Er war zum einen erleichtert,
und dennoch ließ die Angst in ihm nicht nach. Wieso musste
das mir passieren, hämmerte es in seinem Kopf. Wieso mir?
„Sie will das Kind unbedingt“, sagte er. „Ich bin nicht für
Abtreibungen, wenn es nicht nottut, aber ich weiß gar nicht,
wie sie damit fertig werden soll, wenn das Kind nicht in
Ordnung ist.“
Verzweifelt sah er durch den Raum, fuhr sich über das
Gesicht.
„Wir werden rechtzeitig alle Untersuchungen durchführen, die für eine Früherkennung möglich sind“, hörte er Dr.
Kress sagen.
Nun lächelte er dankbar. Trotzdem sah er mitgenommen
aus.
„Danke, dass ich mit Ihnen reden konnte.“ Nur zaghaft
stand er auf.
„Selbstverständlich.“ Dr. Kress kam näher. Obwohl sie
Mitgefühl, vielleicht auch Mitleid für das Geschwisterpaar
empfand, musste sie aussprechen, zu was sie als Ärztin
verpflichtet war. „Was Sie mir erzählt haben, unterliegt
natürlich der Schweigepflicht. Sollte ich dennoch merken,
dass zwischen Ihnen und Francis etwas nicht in Ordnung ist,
dass Sie mir etwas verheimlicht haben oder vorspielen, sehe
ich mich gezwungen, diese Schweigepflicht ordnungsgemäß
zu brechen und Sie anzuzeigen.“
Neal nickte verständnisvoll, obwohl ihm diese Worte
allmählich das Genick brachen. Er war wie benommen, als er
das Zimmer verließ. Er fühlte sich wie ein Schwerverbrecher,
wie ein Greis und todkranker Mann in einem.
Er hatte Tränen in den Augen, als er Francis’ Schulter
umfasste und sie nach draußen begleitete.
Am Abendbrotstisch fehlte Francis. Sie hatte in den
letzten Tagen schon über Übelkeit und Sodbrennen geklagt,
und nun war es noch schlimmer geworden.
Als Neal mit seinen Eltern alleine war, fand er endlich die
Gelegenheit, um die Schwangerschaft anzusprechen. Er
wusste, dass seine Schwester wohl alleine nicht in der Lage
gewesen wäre. Als älterer Bruder und „Mittäter“, fühlte er sich
quasi dazu verpflichtet, die Angelegenheit in die Hand zu
nehmen.
„Ich muss euch etwas sagen“, begann er in einem
ernsten Ton. Er merkte, wie das Blut aus seinem Gesicht
wich. Ihm wurde vor Anspannung richtig schlecht.
Seine Eltern sahen ihn sofort aufmerksam an, sodass
Neal nicht länger zögern konnte.
„Es geht um Francis“, fuhr er fort, „und ich möchte, dass
ihr nicht gleich hysterisch werdet, noch wütend oder
verzweifelt, wenn ihr es erfahrt.“
Peter und Stephanie sahen sich fragend an. Selten tat
ihr Sohn so „geheimnisvoll“. Es lag nahe, dass es sich um
eine unangenehme Angelegenheit handelte.
Peter nickte daraufhin und legte sein Essbesteck weg.
„Schieß los.“
„Also, Francis ist ... schwanger.“
Nun ist es
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