Dein ist das Leid (German Edition)
immer noch – betrogen. Als man mir sagte, dass Paul tot war, war ich bereit, mein Kind allein großzuziehen. Aber jetzt, wo es eine Chance gibt, dass er noch lebt und dass er Justins Leben retten kann … mein Stolz spielt da keine Rolle. Ich muss einfach versuchen, Paul zu finden.“
Marc blickte immer noch konzentriert vom Monitor zum Handy, suchte nach weiteren Einzelheiten, die bestätigen konnten, dass es sich auf den Fotos um denselben Mann handelte. „Haben Sie wegen dieses neuen Bildes die Polizei angerufen?“
„Ja, im Taxi auf dem Weg zu Ihnen. Zweimal dürfen Sie raten, ob man mich da für glaubwürdig hält.“ Amandas Lippen zitterten, und Tränen liefen ihr über die Wangen. „Deshalb bin ich hier. Seit Paul im April verschwand, habe ich schon mit der Idee gespielt, zu Ihnen zu kommen, in der Hoffnung, Sie könnten vielleicht ein Wunder vollbringen. Nach diesem Foto habe ich den Entschluss gefasst. Sie haben den Ruf, Fälle zu lösen, die niemand sonst lösen kann. Bitte. Es gehtum das Leben meines Babys … Werden Sie mir helfen? Ich kratze jeden Penny zusammen, um Ihnen Ihr Honorar zu bezahlen. Ich verkaufe mein Apartment, wenn es sein muss. Das macht mir nichts aus. Ich will nur, dass Justin wieder gesund wird.“ Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte hemmungslos.
„Um Geld geht es nicht“, versicherte Marc ihr. Er hatte bereits seinen Entschluss gefasst, als sie ihm ihre Lage mit dem Kind schilderte. „Wir berechnen unser Honorar immer nach den finanziellen Möglichkeiten unserer Klienten.“ Zum Glück waren sie dazu in der Lage. Mit den astronomischen Zahlungen, die sie von ihren wohlhabenderen Klienten erhielten, und dem Treuhandfonds, den Caseys Großvater ihr hinterlassen hatte, war Forensic Instincts finanziell solide aufgestellt.
„Worum geht es dann?“, fragte Amanda, als Marc nichts mehr sagte.
Marc antwortete nicht gleich. Das Problem war, dass er hier auf einem heißen Stuhl saß. Forensic Instincts hatte eine Regel, die noch nie gebrochen worden war: Sie nahmen nie einen Fall an, bevor das ganze Team darüber diskutiert hatte und zu einer einstimmigen Entscheidung gekommen war.
Aber hier waren die Umstände wirklich grauenvoll. Und weil sonst keiner aus dem Team da war und es seine Zeit brauchen würde, sie alle zu erreichen und hierherzubringen – zum Teufel, es gab für alles ein erstes Mal.
„Es ist nichts, womit ich nicht fertigwerde“, teilte er ihr nüchtern mit. „Wir werden Paul Everett finden, Ms Gleason. Wenn er noch lebt, finden wir ihn. Und wir tun, was immer notwendig ist, damit er kooperiert.“
Amanda hob den Kopf, er sah einen Funken Hoffnung in ihrem tränenüberströmten Gesicht. „Oh, danke. Vielen Dank. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.“
„Danken Sie uns, wenn wir die Sache erledigt haben.“ Marcs Gedanken rasten mit Vollgas. „In welchem Krankenhaus liegt Ihr Sohn?“
„Im Sloane Kettering. Er wurde aus dem Mount Sinai dorthin überwiesen, nachdem sie da die Diagnose gestellt hatten.“
„Sie sind also immer dort zu erreichen?“
„Bis vorhin habe ich sein Zimmer nie verlassen.“
„Gut.“ Marc nickte. „Ich möchte, dass Sie mir dieses Handyfoto zumailen. Außerdem brauche ich einige Informationen von Ihnen – zum Beispiel Name und Kontaktadresse Ihrer Freundin, der Fotografin.Dann kümmern Sie sich wieder um Ihr Baby. Lassen Sie mir etwas Zeit, das Team hier zu versammeln und alles mit den anderen durchzusprechen. Morgen früh werden wir einen Plan haben.“
Zu dem Plan gehörte allerdings auch, dass man ihm gehörig in den Hintern trat.
3. KAPITEL
„Marc, du bist der einzige Mensch, bei dem ich mich darauf verlasse, dass er immer einen kühlen Kopf bewahrt. Ausgerechnet du solltest doch wissen, was es heißt, Mitglied eines Teams zu sein. Was hat dich bloß dazu gebracht, eigenmächtig so eine Entscheidung zu treffen?“
Casey Woods, Gründerin und Chefin von Forensic Instincts , stand am Kopf des großen ovalen Tisches im größten Konferenzraum, die Handflächen flach auf der Tischplatte, den Oberkörper gerade. Für eine zarte, außergewöhnlich attraktive Rothaarige Anfang dreißig hatte sie eine verblüffende Autorität an sich und besaß die passenden Führungsfähigkeiten. Außerdem war sie eine ausgebildete Profilerin und eine ausgezeichnete Ermittlerin mit einem unfehlbaren Instinkt.
Im Augenblick musste man allerdings kein Profiler sein, um zu erkennen, dass sie sauer war.
Und das nicht,
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