Dein ist der Tod
weiter um. Links war ein dunkler Gang, der vermutlich zum Schlafzimmer führte, und hinter dem Wohnzimmer lag die dunkle Küche. Der Speisebereich war leer, doch an einem Tresen, der Wohnzimmer und Küche voneinander trennte, standen zwei Barhocker.
Plötzlich wurde ihr die Stille bewusst. Ric bedachte sie wieder mit einem seiner grimmigen Blicke, die sie schon im Wagen als feindselig empfunden hatte. Zunächst fühlte sie sich unsicher, dann jedoch stieg Wut in ihr auf.
»Schau mich nicht so an«, schnauzte sie.
»Wie denn?«
»Du wolltest doch, dass ich herkomme. Ich kann genauso gut in ein Hotel gehen.« Oder zu Scott . Doch eine innere Stimme mahnte sie zur Zurückhaltung, denn wenn sie ihn provozierte, würde er womöglich wieder aus der Haut fahren.
Das Klingeln seines Handys bewahrte ihn vor einer Antwort. Ohne den Blick von ihr zu wenden, zog er das Telefon aus der Hosentasche.
»Santos.« Er drehte sich um und warf die Schlüssel auf ein Tischchen neben der Tür. »Ja.« Wieder zu Mia gewandt, sagte er: »Ich muss da rangehen. Wenn du Hunger hast, kann ich uns was bestellen.«
Seine Art, auf die Bemerkung mit dem Hotel zu reagieren.
»Nicht nötig. Ich hatte was nach der Arbeit.« Sie nickte in Richtung des Handys. »Du kannst ruhig telefonieren.«
Er ging mit dem Telefon ins Wohnzimmer und schaltete das Licht an.
Mia sah sich weiter um, neugierig auf die Einzelheiten. Auf dem Tischchen in der Diele entdeckte sie einen Stapel ungeöffneter Post. Auf dem Boden lagen mehrere Werbezettel, die möglicherweise unter der Tür durchgeschoben worden waren. Mia hob sie auf. Pizzagutscheine, der angekündigte Besuch eines Kammerjägers. Sie legte die Zettel unter den Poststapel.
Ric stand nun mit aufgerollten Hemdsärmeln am Tresen und telefonierte mit gedämpfter Stimme. Im Schein der Lampe wirkten seine Gesichtszüge markant, die Sorgenfalten waren deutlich zu erkennen. Seine Anspannung während des Gesprächs war mit den Händen zu greifen. Sprach er mit seinem Bruder? Mit Jonah? Sie wusste nicht über alles Bescheid, was heute passiert war, doch offensichtlich ging es bei der Ermittlung drunter und drüber. Sie hatte den Eindruck, dass Ric und Jonah als Sündenböcke herhalten mussten, falls der Fall den Bach runterging. Und danach sah es aus. Die Ergebnisse des Gentests, die heute Nachmittag gekommen waren, konnten die Sache endgültig zum Kippen gebracht haben.
Mia hob ihre Reisetasche auf. Sie war nervös und unsicher. Am liebsten hätte sie irgendetwas sortiert oder geordnet oder vielleicht auch gekocht, aber das konnte sie hier schlecht. Bei ihrem ersten Besuch in seiner Wohnung wollte sie sich keinesfalls wie seine Mutter benehmen.
Sie entschied sich stattdessen dafür, die anderen Räume zu erkunden. Die erste Tür rechts führte zum Badezimmer, wo sie in einem Becher neben dem Waschbecken eine rosa Zahnbürste bemerkte. Als Nächstes spähte sie in das gegenüberliegende Zimmer und schaltete das Licht an. Eine Wand war mit Postern von Teenagerjungs zugepflastert, was ihre Vermutung über die Besitzerin der Zahnbürste bestätigte. Auf dem Bett lag eine türkisfarbene Tagesdecke. Daneben stand ein kleiner, offenbar zum Schminktisch umfunktionierter Schreibtisch. Jedenfalls sah Mia eine Reihe Lippenstifte und Nagelpflegemittel, ehe sie die Tür wieder schloss und weiter in die Wohnung vorstieÃ.
Das Schlafzimmer sah schon wesentlich mehr nach Ric aus. Ein breites Doppelbett mit schwarzem Ãberwurf, eine Kommode, auf der Kleingeld, ein Deo und eine Schachtel Patronen lag. In einer Ecke stand die gerahmte Fotografie von Ric und einem hübschen jungen Mädchen in grünem Footballtrikot. Er hatte den Arm um ihre Schultern gelegt, und beide lachten in die Kamera.
Mit der glatten olivfarbenen Haut und den dichten schwarzen Wimpern sah das Mädchen ihrem Vater so ähnlich, dass Mia Herzklopfen bekam. Auf dem Foto wirkte Ric glücklicher und entspannter, als sie ihn je erlebt hatte. Man sieht ihm an, wie sehr er sie liebt , dachte sie mit einem Anflug von Sehnsucht.
Sie wandte den Blick von dem Foto, um sich dem Rest des Zimmers zu widmen. In einer Ecke stand eine Hantelbank mit einem Sammelsurium an beängstigenden Scheiben. Sie ging hin und strich mit dem Finger über die kühle Metallstange. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn rücklings auf der Bank liegen
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